Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
Vom Netzwerk:
sind nämlich für unterschiedliche Aufgabenzuständig. Beim Menschen ist die linke Hirnhälfte unter anderem für die rechte Körperseite und für das Wortgedächtnis verantwortlich. Offensichtlich ist es bei Pferden ähnlich«, stellte Holmes fest. »Aber eine Frage habe ich noch: Was hast du dem Droschkengaul ins Ohr geflüstert, um ihn wieder zur Räson zu bringen?«
    Ich lächelte. »Pferde können zwar sehr viele Stimmen auseinanderhalten, aber nur sehr wenige Worte. Deshalb ist nicht der Inhalt der Sätze entscheidend, sondern der Rhythmus der Rede und die Sprachmelodie.«
    »Das habe ich begriffen. Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Was genau hast du zu dem Pferd gesagt?«
    »Ganz einfach:
The wiser head gives in
.« [ 2 ]
    Mehrere handfeste Männer hatten inzwischen das umgestürzte Automobil aufgerichtet und beiseitegeschoben. Unsere Fahrt ging weiter. Wir ließen uns auf direktem Weg zum Sanatorium von Professor Bruchelt fahren. Es gab keine weiteren Zwischenfälle. Holmes hatte die Karte auf seinem Schoß zu liegen. Er ließ die Blicke schweifen und prägte sich die Gegend ein. Ich war mir sicher, dass er sich auch in stockdunkler Nacht bestens zurechtfinden würde. Es ging immer höher hinauf. An so mancher Steigung hatte das Pferd ganz schön zu kämpfen.
    Als Knabe hatte ich es geliebt, im Winter die verschneiten Hügel vor meinem elterlichen Haus mit einem Hörnerschlitten hinabzusausen. Hier auf dem Weißen Hirsch mit seinen steilen und kurvenreichen Abfahrten musste das Rodeln noch wesentlich mehr Spaß machen. Im nächsten Moment kam mir mein vorgerücktes Alter in den Sinn. Ich musste seufzen. Meine morschen Knochen taugten schon längst nicht mehr für Vergnügungen solcher Art.
    Schräg gegenüber vom Sanatorium ließen wir die Droschke halten und stiegen aus. Holmes ging nach vorn und entlohnteden Kutscher. Seine linke Backe glühte feuerrot. Bald würde sie sich blau verfärben. Ich hatte kein Mitleid mit dem Mann. Er wirkte verschreckt und wagte es nicht, mich anzusehen.
    Ich atmete tief ein und ließ das Panorama auf mich wirken. Nach dem ausführlichen Bericht von Dr. Hasse hatte ich mir vor meinem geistigen Auge ausgemalt, wie die Heilstätte in etwa aussehen könnte. Meine kühnsten Erwartungen wurden von der Realität weit übertroffen.
    Das Gelände des Sanatoriums war riesengroß. Es bestand hauptsächlich aus einer gepflegten Parklandschaft, die sich irgendwo im Nirgendwo verlor. »Hier möchte ich alt werden«, stieß ich hervor. »Das ist noch weitaus besser als eines dieser Herrenhäuser unten am Fluss.« Auf meiner Beliebtheitsskala war Elbflorenz eine Stufe tiefer gerutscht. So schnell konnte es gehen.
    Das Zentrum war ein gigantisches, burgähnliches Gebäude mit funkelnden Zinnen, allerlei hübschen Türmen, überdachten Balkonen und weitläufigen Terrassen. Eine überdachte Wandelhalle bildete den Abschluss nach vorn zur Straße. Die breite Einfahrt wurde von zwei eingeschossigen, massiven Pavillons mit kuppelartigen Dächern flankiert. Von Ferne schimmerten mehrere verstreut liegende Villen weiß durch die Bäume.
    »Das sieht nach sehr, sehr viel Geld aus«, flüsterte ich betroffen. »Wenn James Moriarty hier tatsächlich seine Hände mit im Spiel haben sollte, verdient er zweifellos den Beinamen eines leuchtenden Gestirns. Dann kann sich ihm nichts und niemand mehr in den Weg stellen.«
    »Irrtum, mein Freund. Wir können es – und wir werden es«, korrigierte mich Holmes.
    Auf dem Sanatoriumsgelände herrschte ein geschäftiges Treiben. Schwestern in gestärkten Trachten, Gärtner in grauen Arbeitssachen, Patienten in Krankenhauskitteln und ihreAngehörigen im Sonntagsstaat wimmelten hin und her wie in einem Ameisenbau. Vorne am Tor stand ein Pförtner in einer schwarzen Uniform. Jedes einoder ausfahrende Fahrzeug wurde von ihm gründlich kontrolliert. Die Schranke ging erst nach oben, wenn der Wachmann seinem Kollegen im Häuschen das entsprechende Zeichen gab.
    Aber ich beobachtete nur, ich analysierte nicht. Holmes hingegen ließ sich von dem glanzvollen Erscheinungsbild nicht blenden. Ihm schossen ganz andere Gedanken durch den Kopf. »Dieses Sicherheitssystem taugt nicht die Bohne«, konstatierte er sofort. »Die flachen Mauern lassen sich problemlos überwinden. Ich kann nirgendwo Barrieren aus Stacheldraht entdecken. Die Schranke ist ein Witz. Jeder robuste Lastkraftwagen kann dort durchbrechen. Bei einem harten Aufprall wird der dünne Schlagbaum

Weitere Kostenlose Bücher