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Sherlock Holmes - Sein letzter Fall und andere Geschichten

Sherlock Holmes - Sein letzter Fall und andere Geschichten

Titel: Sherlock Holmes - Sein letzter Fall und andere Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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vorgefallen sei. Aber andererseits sprach wieder die Anspielung auf David dagegen, sowie die zärtliche Liebe, die der Oberst, wie allbekannt, für seine Frau hegte; von dem Auftreten jenes anderen Mannes ganz zu schweigen, der brauchte ja zu allem Vorhergegangenen in keinerlei Beziehung zu stehen. – Es wurde mir schwer, irgendwo festen Fuß zu fassen, doch gab ich den Gedanken an ein geheimes Einverständnis zwischen dem Obersten und Fräulein Morrison schließlich auf, bestärkte mich aber umsomehr in der Überzeugung, daß die junge Dame Auskunft darüber geben könne, aus welchem Grunde Frau Barclays Gefühle für ihren Gatten sich plötzlich in Haß verwandelt hätten. So beschloß ich denn, Fräulein Morrison aufzusuchen, um ihr zu erklären, ich sei zu der Gewißheit gelangt, daß sie Licht in die Sache zu bringen vermöchte. Falls sie ihre Aussage verweigere, würde ihre Freundin, als des Mordes angeklagt, vor Gericht erscheinen müssen.
    Das Fräulein ist ein zartes, schlankes Wesen mit blondem Haar und schüchterner Miene, doch fehlt es ihr weder an Scharfsinn noch gesundem Menschenverstand. Sie sah eine Weile schweigend und nachdenklich vor sich hin, aber plötzlich hob sie den Blick, schaute mich fest an und erstattete ihren merkwürdigen Bericht, den ich dir so kurz wie möglich mitteilen will.
    ›Meine Freundin hat mir das Versprechen abgenommen, die Sache geheim zu halten, und ich pflege mein gegebenes Wort nicht zu brechen‹, sagte sie. ›Aber da eine so schwere Anklage gegen Frau Barclay vorliegt und sie selbst durch ihre Krankheit gehindert ist, Zeugnis abzulegen, so fühle ich mich von dem Versprechen entbunden. Ich will ihr helfen, so gut ich kann, und Ihnen alles, was am Montag abend geschehen ist, ausführlich erzählen.
    Wir verließen die Missionssitzung etwa um dreiviertel auf neun und mußten auf dem Heimweg durch die Hudson Street gehen, die sehr still und menschenleer ist. Auf der linken Seite brannte eine einzige Laterne; als wir in deren Nähe waren, kam uns ein Mann entgegen, der ganz verkrüppelt aussah. Der Kopf steckte ihm tief in den Schultern, er ging mit gebeugten Knien und gekrümmtem Rücken und trug eine Art Kasten an einem Band über der Achsel. Wahrend wir an ihm vorüberschritten, sah er in die Höhe, der Lichtschein fiel auf uns, er blieb stehen und schrie mit furchtbarer Stimme: Mein Gott, es ist Nancy!

    Frau Barclay wurde bleich wie der Tod und wäre zu Boden gefallen, hätte sie der schreckliche Krüppel nicht festgehalten. Ich wollte eben nach der Polizei rufen, als ich sie zu meiner Verwunderung ganz höflich mit dem Menschen sprechen hörte.‹
    ›Ich hielt dich schon seit dreißig Jahren für tot, Henry‹, sagte sie mit bebender Stimme.
    ›Das bin ich auch‹, entgegnete er, und mich überlief es kalt bei dem grauenhaften Ton seiner Stimme. Sein Gesicht war finster und abschreckend, und der grimmige Blick seiner Augen verfolgt mich noch im Traum. Haar und Bart waren stark mit Grau vermischt und seine welle, faltige Haut ganz zusammengeschrumpft.
    ›Bitte, gehe ein wenig voraus‹, sagte Frau Barclay zu mir; ›ich möchte ein Wort mit diesem Manne reden. Fürchte nichts für mich.‹ – Wie sehr sie sich aber auch bemühte, ihrer Stimme Festigkeit zu geben, so bebten ihr doch die Lippen, und sie sah leichenblaß aus.
    Ich tat, was sie verlangte, und die beiden sprachen ein paar Minuten miteinander. Dann kam Frau Barclay mit zornsprühenden Blicken die Straße herunter, und ich sah den Krüppel am Laternenpfahl stehen, wo er, wie rasend vor Wut, die geballten Fäuste schüttelte. Sie sprach kein Wort, bis wir vor unserer Haustür standen, dann faßte sie mich bei der Hand und bat mich, niemand etwas von der Begegnung zu sagen. ›Es ist ein früherer Bekannter von mir, der in der Welt heruntergekommen ist‹, sagte sie. Als ich ihr Stillschweigen gelobte, küßte sie mich, und ich habe sie seitdem nicht wiedergesehen.
    ›So, jetzt wissen Sie alles, was ich der Polizei vorenthalten habe, weil ich keine Ahnung von der Gefahr hatte, die meine Freundin bedroht. Ich weiß, es kann ihr nur zum Vorteil gereichen, wenn man die volle Wahrheit erfährt.‹
    Wie du dir denken kannst, Watson, war Fräulein Morrisons Aussage für mich ein Lichtstrahl in dunkler Nacht. Alles, was bisher außer Zusammenhang schien, ließ sich jetzt mit Leichtigkeit aneinander reihen, und ich hatte eine Art Vorgefühl von dem ganzen Verlauf der Sache. Mein nächster Schritt mußte

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