Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot
und sah sich um. »Ruf sie herein, ich möchte sie
begrüßen.«
»Da haben Sie recht, verheiratet bin ich nicht«, antwortete Ferrier. »Aber es gab so wenig Frauen und soviel Männer, die größeren Anspruch auf sie hatten als ich. Ich war kein
einsamer Mann. Dann hatte ich ja auch meine Tochter, die nach allem sah, was ich brauchte.«
»Auf Deine Tochter wollte ich gerade zu sprechen kommen. Darum bin ich eigentlich hierher gekommen«, sagte der Mormonenführer. »Sie ist zur Blüte von Utah herangewachsen und
mancher, der in diesem Lande groß ist, hat Wohlgefallen an ihr gefunden.«
John Ferrier stöhnte innerlich.
»Es gehen Geschichten um, die ich kaum glauben mag, Geschichten, die besagen, daß sie
einem Ungläubigen versprochen ist. Dies ist gewiß Geschwätz einer Zunge, die nichts
Besseres zu tun hat, als dummes Zeug zu reden. Wie lautet die dreizehnte Regel im
Gesetzesbuch des heiligen Josph Schmidt? >Laßt jedes Mädchen, das dem wahren Glauben angehört, einen Erwählten heiraten, denn wenn sie einem Ungläubigen vermählt wird, so
begeht sie eine beklagenswerte Sünde.< Da dies so ist und du es auch weißt, wirst du natürlich auf keinen Fall einwilligen, daß sie gegen dieses Gebot verstößt.«
John Ferrier gab keine Antwort. Seine nervösen Hände spielten mit der Reitpeitsche.
»An diesem Punkte wollen wir deinen Glauben prüfen, so wurde es im geheiligten Rat der Vier beschlossen. Das Mädchen ist jung und wir wollen sie nicht an einen alten Mann
verheiraten. Sie soll auch selbst die Wahl haben, nein, wir wollen ihr die Wahl nicht
abnehmen. Wir Ältesten haben eine Menge Frauen, aber unsere Kinder sollen auch versorgt sein. Stangerson hat einen Sohn und Drebber hat auch einen Sohn. Jeder von beiden
würde deine Tochter gerne in seinem Hause willkommen heißen. Was sagst du dazu?«
Ferrier schwieg einen kleinen Augenblick. Seine Augenbrauen hatten sich
zusammengezogen.
»Geben Sie uns ein bißchen Zeit«, sagte er schließlich. »Meine Tochter ist noch sehr jung.
Eigentlich ist sie noch kaum heiratsfähig. «
»Sie soll einen Monat Zeit haben, in dem sie wählen kann«, sagte Young und erhob sich von seinem Platz. »Wenn die Zeit abgelaufen ist, wird sie ihre Antwort geben müssen.«
Er war schon durch die Tür gegangen. Da drehte er sich noch einmal um. »John Ferrier«, donnerte er mit gerötetem Gesicht und sprühenden Augen, »es wäre besser für dich gewesen, wenn deine Knochen jetzt auf der Sierra Blanco bleichten, als daß du dem heiligen Befehl der geheiligten Vier nicht gehorchst!«
Mit einer Drohgebärde wandte er sich zum Gehen. Ferrier hörte seine schweren Schritte den Kiespfad hinunterstapfen.
Lange saß er da und hatte die Ellenbogen auf die Knie gestützt. Wie sollte er diese
schreckliche Nachricht seiner Tochter erzählen? Plötzlich legte sich eine sanfte Hand auf seine Schulter. Als er aufsah, stand seine Tochter neben ihm. Ihr blasses, verängstigtes Gesicht zeigte ihm, daß sie alles gehört hatte.
»Ich kann nichts dafür«, beantwortete sie seinen Blick. »Seine Stimme drang durch das ganze Haus. Oh Vater, Vater, was sollen wir nun bloß tun?«
»Fürchte dich nicht zu sehr«, antwortete er, zog sie zu sich heran und streichelte mit seiner breiten, groben Arbeitshand ihr helles Haar. »Auf die eine oder andere Weise werden wir es wohl hinkriegen. Dein Gefühl für Deinen Freund hat inzwischen nicht irgendwie
nachgelassen, oder?«
Sie schluchzte auf und drückte seine Hand. Das war ihre einzige Antwort.
»Nein, natürlich nicht. Ich wollte es auch gar nicht anders hören. Er ist ein liebenswerter Kerl und Christ ist er auch. Das ist mehr als was all diese Leute mit ihrem Beten und Predigen sind. Morgen geht eine Gruppe nach Nevada. Ich will sehen, daß ich
ihm eine Nachricht schicke, die ihm erklärt, wie die Dinge hier stehen und in was für
Schwierigkeiten wir hier geraten sind. Wenn ich den jungen Mann richtig einschätze, kommt er schneller als ein Telegramm zurück.«
Mit Tränen in den Augen lachte Lucy über den Scherz ihres Vaters.
»Wenn er kommt, dann wird er uns raten und helfen, wie wir es am besten machen können.
Aber ich habe jetzt Angst um Dich, Vater. Man hört — so schreckliche Geschichten über
Leute, die gegen den Propheten sind. Irgendetwas Schreckliches passiert ihnen immer.«
»Aber bisher haben wir noch nichts gegen ihn unternommen«, antwortete ihr Vater. »Wenn wir das erst tun, dann müssen wir ganz sicherlich
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