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Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot

Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot

Titel: Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sir Arthur Conan Doyle
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sicher konnte er sein, daß eine unsichtbare Hand ihr Kalendarium verewigt und an sichtbarer Stelle
    niedergeschrieben hatte, wieviel Tage von dem Monat der Gnade ihm noch blieben.
    Manchmal erschien die schicksalshafte Zahl an einer Wand, manchmal auf einem Fußboden.
    Gelegentlich hatte sie eine kleine Karte an die Gartenpforte gesteckt und manchmal an das Treppengeländer. So wachsam John Ferrier auch war, so konnte er doch nicht ausmachen,
    woher diese täglichen Drohungen kamen. Ein lähmender Schrecken, der beinahe in
    Aberglauben ausartete, hatte sich ihm beim Anblick dieser Botschaften bemächtigt. Er wurde mager und ruhelos und seine Augen hatten den verängstigten Blick eines gejagten Wildes angenommen. Inzwischen war ihm nur noch eine Hoffnung geblieben, lebendig aus der Sache herauszukommen. Das war die Ankunft des jungen Jägers aus Nevada.
    Aus zwanzig Tagen waren fünfzehn geworden und aus fünfzehn zehn. Kein Zeichen von dem
    abwesenden Freund hatte sie bisher erreicht. Die Zahlen wurden kleiner und kleiner und immer noch kein Zeichen von ihm. Immer, wenn ein Reiter die Straße entlang kam oder ein Kutscher sein Pferd anbrüllte, lief der alte Bauer zum Tor, immer in der Hoffnung, daß Hilfe endlich nahe war. Schließlich wechselte die fünf zur vier über, dann kam die drei. Da verlor der alte Mann den Mut und gab alle Hoffnung auf Rettung auf. Er war allein. In der Bergwelt, die die Siedlung umgab, kannte er sich schlecht aus. Er wußte, daß er machtlos war. Dazu wurden die befahrbaren Straßen streng bewacht. Ohne ausdrücklichen Befehl des Rates der Vier durfte niemand von ihnen die Grenzen überschreiten. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte, ihre Lage erschien aussichtslos. Sie würden den Schlag des Schicksals, der über ihnen schwebte, einstecken müssen. Trotzdem wankte der alte Mann keinen Augenblick in seinem Entschluß. Lieber wollte er das Leben lassen, als dem zuzustimmen, was er als Unehre für seine Tochter empfand.
    Eines Abends saß er alleine da und brütete über seinen Sorgen. Vergeblich suchte er nach einem Ausweg. Am nächsten Morgen war die Nummer 2 an seiner Hauswand zu lesen. Der
    nächste Tag würde der letzte Tag der zugebilligten Gnade sein. Was würde dann geschehen?
    Schreckliche Phantasien erfüllten seine Gedanken. Und seine Tochter? Was würde aus ihr werden, wenn er tot war? Gab es für sie keine Fluchtmöglichkeit aus diesem
    unsichtbaren Netz, das um sie herum gezogen worden war? Sein Kopf sank auf den Tisch und er weinte im Angesicht seiner eigenen Machtlosigkeit.
    Was war das? In der Stille hörte er ein leises, kratzendes Geräusch — leise, aber in der Stille der Nacht doch deutlich hörbar. Ein paar Augenblicke hörte er nichts, aber dann wurde das leise, geheimnisvolle Geräusch wiederholt. Jemand klopfte offensichtlich sehr vorsichtig an die Holzfüllung der Tür. War es der Henker? War es das Mordkommando, das die Befehle
    eines geheimen Tribunals auszuführen hatte? Oder war es ein Botschafter, der gekommen
    war, den letzten Tag der Gnade anzuzeigen ? Lieber wollte John Ferrier dem Tod ins Gesicht sehen, als noch länger die Ungewißheit ertragen, die an den Nerven zerrte und ihm das Blut in den Adern gerinnen ließ. Er ging zur Tür, zog den Riegel zurück und riß die Tür auf.
    Draußen war alles friedlich und ruhig. Die Nacht war herrlich. Die Sterne blinkten hell und klar am Himmel. Der Bauer durchforschte mit suchendem Blick seinen kleinen, umzäunten
    Vorgarten. Aber weder dort noch auf der Straße regte sich eine menschliche Seele. Mit einem Seufzer der Erleichterung sah er nun nach rechts und links. Schließlich wanderte sein Blick vor die eigenen Füße. Vor sich erblickte er zu seinem großen Erstaunen einen Mann, der bäuchlings auf dem Boden lag und Arme und Beine weit von sich gestreckt hielt. Völlig
    entnervt lehnte Ferrier sich gegen die Wand, die Hand am Hals, um einen Schrei zu
    unterdrücken. Zunächst glaubte er, vor ihm läge ein Sterbender oder Schwerverwundeter.
    Aber als er genau hinsah, bewegte sich die Gestalt, ja sie kroch und wand sich mit der Schnelligkeit und Geräuschlosigkeit einer Schlange in seinen Flur. Schließlich war sie im Haus, sprang auf die Füße und schloß die Tür. Der verwunderte Bauer sah in das wilde,
    entschlossene Gesicht Jefferson Hopes.
    »Guter Gott, hast du mich erschreckt. Warum bist du auf diese Weise gekommen?«
    »Gib mir etwas zu essen«, sagte Hope rauh. »Ich hab mir seit

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