Sherlock Holmes und das Druidengrab
einmal die Liste seiner Projekte in den letzten Jahren ansieht. Doch hat es ihn trotz allem einen essenziellen Teil seines Vermögens gekostet, seinen Ruf als Architekt und Ingenieur zu erhalten, was, hätte es sich wirklich um Hochwasserschäden gehandelt, nicht der Fall gewesen wäre. Schließlich war da noch der Umstand, dass kurz nach dem Unglück die Fischbestände der Birs drastisch zurückgingen. Ein Detail, vielleicht nicht mehr als der Effekt auslaufenden Öls der Lokomotive. Aber trotzdem einen Gedanken, eine Frage wert.“
In diesem Moment flog die Tür zur Herberge auf. Herein trat ein Bärtiger, in Ölzeug gekleidet, sein Haar trotz des breitkrempigen Hutes glänzend vor Nässe. Es war dies der Wirt, der vor wenigen Minuten hinausgegangen war, um für Nachschub an Feuerholz zu sorgen. Seine Augen waren weit aufgerissen, sodass das Weiß der Augäpfel im Widerschein der Kerzen leuchtete. Der Mann sah so aus, als habe er soeben den Teufel höchstpersönlich gesehen, als er beinahe stimmlos hervorstieß: „Sie brennt wieder! Sie brennt!“
„Damit hatte ich nicht gerechnet.“ Ehe ich mich versah, war Holmes nach draußen geeilt. Er hätte sich wenigstens einen Mantel anziehen können , dachte ich, tat dies und stürzte ebenfalls hinaus in die Dunkelheit. Es regnete in Strömen, binnen eines Augenblicks war ich völlig durchnässt.
Das Tal lag in tiefer Schwärze vor mir. Der Weg war aufgeweicht, tiefe Pfützen hatten sich gebildet. Die Momente, in denen weit verästelte Blitze den Himmel durchzuckten und die gesamte Szenerie als monochromes Nachbild vor meinen Augen fixierten, ließen mich halb blind hinter Holmes her stolpern. Er eilte den Hügelkamm entlang dem Schienenstrang zu. Der schmale Weg auf der Krete war zur linken von überhängenden Bäumen gesäumt, rechts ging es steil hinab ins Tal. Knotige Wurzeln überwucherten den Boden, und die nassen Steine dazwischen machten die Aufgabe, Holmes zu folgen zu einem Hindernislauf. Auf halber Strecke blieb er jedoch stehen, als ein gewaltiger Blitz die Nacht zerriss und der beinahe gleichzeitige, ohrenbetäubende Donner das Prasseln des Regens ausblendete. Ich sah gerade noch die Silhouette meines Freundes, der mit ausgestrecktem Arm auf irgendetwas zeigte. Dann begriff ich: Der Blitz hatte in die Eisenbahnbrücke eingeschlagen. Ich blieb stehen, doch Holmes eilte weiter. Schließlich sah auch ich, worauf mein Freund gedeutet hatte. Erst langsam und kaum erkennbar, dann immer heller züngelten kleine blaue Flammen am Stahl der Brücke entlang. Es war, wenn auch beängstigend, so doch wunderschön anzusehen, wie flüssig anmutendes, kaltes Feuer die starren Metallträger der Brücke umwob, sich um Nieten und Balken kräuselte. Elmsfeuergleich loderten die Flämmchen auf, ohne sichtbar von irgendetwas zu zehren. Allmählich steigerte sich die Intensität des Lichts. Das hellblaue Flackern tauchte die Wälder unterhalb des Viadukts in eine subaquatische Atmosphäre, ließ die Fachwerkkonstruktion aus hartem Metall deutlich vor dem schwarzen Nachthimmel hervortreten. Bäume und Sträucher schienen verschwommen in einem hellen Dunst der vom Boden aufsteigenden Schwaden. Die Tropfen, die in der Nähe des Bauwerks niedergingen, erstrahlten als würden Saphire vom Himmel fallen. Das Leuchten weitete sich zu einer kobaltblauen Aureole aus und fiel dann in sich zusammen. Vielleicht hatten mich meine Augen getäuscht, doch ich glaubte kurz eine Gestalt erblickt zu haben, die über die Brücke zur anderen Seite des Tals hastete. Der Spuk dauerte nicht einmal einen Wimperschlag, danach fiel die Welt in die Schwärze der Gewitternacht zurück. Ich entschied mich kehrtzumachen und in der Herberge auf Holmes zu warten.
Holmes war so spät zurückgekehrt, dass ich schon begonnen hatte mir Sorgen zu machen. Er hatte dann sogleich wortlos angefangen, seine Sachen zu packen, und mir bedeutet es ihm gleichzutun. Wir müssten so schnell wie möglich hinunter ins Tal und dann nach Saint-Lô, um Schlimmeres zu verhindern. Ich begriff zwar nicht, doch muss man es meinem Freund zugutehalten, dass er stets im Nachhinein dazu bereit ist, seine Gedankengänge zu erklären, und im Moment der Gefahr Taten den Vorzug gegenüber Worten gibt. Nachdem wir um vier Uhr dreißig morgens endlich am Bahnhof von Saint-Lô eintrafen, sprang Holmes aus dem Wagen und rannte ins Büro des Bahnhofvorstands. Ich folgte etwas langsamer, immer noch verwirrt ob der jüngsten Ereignisse, und
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