Sherlock Holmes und das Druidengrab
denen jemand freie Schussbahn auf Sie hat.“
„Seien Sie unbesorgt, das hatte ich ohnehin vor. Der Schreck steckt mir noch immer tief in den Gliedern. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen möchten. Mein Nachmittagstee wartet. Und den möchte ich mir um keinen Preis der Welt entgehen lassen.“
„Selbstverständlich“, sagte Holmes und fügte an mich gewandt hinzu: „Kommen Sie, Watson, lassen Sie uns im Garten umschauen. Vielleicht finden wir dort weitere Hinweise.“
Schweigend folgte ich ihm und war erstaunt, wie viel wärmer es draußen war. Die Sonnenstrahlen legten sich wie eine mollige Winterdecke über meinen Körper und gaben ihm in Windeseile all die Wärme zurück, auf die er im Inneren des Landhauses verzichten musste. Zufrieden rieb ich mir über die Oberarme und beobachtete meinen Freund bei der Arbeit.
Dass er den Boden genauestens unter die Lupe nahm, legte den Verdacht nahe, dass er nicht an die Theorie vom Jagdunfall glaubte. Ich fragte ihn danach, während mein Blick die vielen Beete und Sträucher streifte und schließlich am Waldrand hängen blieb. Das Unterholz war ziemlich dicht und bot ein perfektes Versteck.
„Ihre Aufmerksamkeit freut mich“, sagte er. „Der wichtigste Beweis für uns ist die Kugel selbst. Sie stammt nicht von einem Gewehr, sondern von einer Pistole. Wie viele Jäger kennen Sie, die mit einer solchen Handfeuerwaffe auf die Pirsch gehen?“
„Keinen. So etwas ist weder praktisch noch sportlich. Abgesehen davon ist ein gezielter Schuss aus der Ferne mit einer Pistole so gut wie unmöglich.“
Holmes beugte sich hinab und schob einige Büsche zur Seite. „Und was sagt uns das?“
„Dass der Schütze nicht weit vom Fenster gestanden haben kann. Allerdings schließt das nicht aus, dass es jemand von außerhalb war. Der Gartenzaun, der das Grundstück von Wald und Wiese abgrenzt, dürfte ziemlich schnell überwunden sein. Da braucht man nicht einmal ein geübter Sportler zu sein.“
„Auch da gebe ich Ihnen Recht. Auffällig ist allerdings, dass hier jemand offenbar bewusst sämtliche Schuhabdrücke verwischt hat. Wie vielen Fremden, die sich aufs Grundstück schleichen, um einen Mord zu begehen, bleibt nach dem abgefeuerten Schuss die Zeit dafür? Zumal der Schütze danebentraf und damit rechnen musste, dass gleich jemand nach draußen stürmt.“
„Dann sind Sie also sicher, dass der Schütze aus dem Haus stammt?“
Lächelnd hob er den linken Zeigefinger. „Geben Sie mir noch einige Minuten. Mir fehlen die letzten beiden Puzzlestücke, bevor das Bild komplett ist. Möglicherweise kann uns Bethany Whedons dabei ja behilflich sein.“
Er nickte in Richtung Osten und ich schaute mich um. Keine zwanzig Yards von uns entfernt kniete Nicolas’ Frau neben einem Blumenbeet. Allerdings dachte sie nicht einen Moment daran, sich dort zu verstecken, sondern winkte uns zu. Kurz ärgerte mich, sie nicht früher zwischen den Sträuchern entdeckt zu haben. Aber einerseits besaß ich nicht die Adleraugen meines Freundes, andererseits war mein Augenmerk auf völlig andere Dinge gerichtet gewesen.
Wir folgten einem schmalen Trampelpfad zu ihr. Links und rechts befanden sich Beete mit Blumen, Kräutern und Gemüse. Bei manchen bemerkte ich kleine Abdrücke, die allesamt von denselben flachen Schuhen stammten. Anhand der Größe tippte ich auf Frauenschuhe.
„Willkommen in meinem kleinen Reich“, rief uns Bethany Whedon aus einiger Entfernung zu. Ihre Stimme klang beinahe fröhlich. „Was verschlägt Sie denn hier hinaus? Glauben Sie, der Giftmörder ist durch den Garten geflüchtet?“
„Dafür besteht bislang kein Anlass“, erwiderte Holmes. „Aber das ist es nicht, was uns nach draußen geführt hat. Wussten Sie, dass auf Ihren Mann am selben Abend ebenfalls ein Anschlag verübt wurde? Allerdings benutzte der Täter hierbei eine Pistole.“
Ihr Lächeln gefror. „Nein, das wusste ich nicht. Aber Nicolas geht es doch gut.“ Binnen einer Sekunde wich sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht. „Er hat nicht mal eine Schramme. Und erwähnt hat er auch nichts. Wie kann das sein?“
„Laut Ihrem Gatten war alles nicht so schlimm. Er stellt sich bewusst zurück, um nach dem Tod seines Bruders nicht als jemand zu gelten, der sich in den Vordergrund drängen will.“
„Ja, er ist die Bescheidenheit in Person.“ Sie verzog kurz die Miene, wurde aber sofort wieder ernst. „Aber wenn er ebenfalls angegriffen wurde … eventuell versucht es der Täter ja noch
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