Sherlock Holmes und das Druidengrab
hervorragende Arbeit zu leisten. Und die wird auch weiterhin von Nöten sein. In Zukunft braucht die Familie Whedon Ihre Unterstützung mehr denn je.“
„Und wieder haben Sie es geschafft, mich zu verblüffen“, sagte ich meinem Freund, nachdem Brody und Angelina gegangen waren. „Wie konnten Sie nur innerhalb so kurzer Zeit so viele Dinge herausfinden? Ich war immer an Ihrer Seite und habe nicht die Hälfte davon bemerkt.“
„Das ist alles eine Frage von Logik und Deduktion, Watson. Wann fangen Sie endlich an, Ihre Augen und Ihren Verstand richtig zu gebrauchen? Sämtliche Fakten waren doch klar erkennbar. Sie hätten daraus lediglich die richtigen Schlüsse ziehen müssen.“
Das sagen Sie jedes Mal , lag mir auf der Zunge. Doch ich hielt mich zurück und beschränkte mich darauf, meinen Blick ein letztes Mal durch die wertvolle Bibliothek schweifen zu lassen. Nach wie vor war ich neidisch auf das von Charles Dickens signierte Buch. Ich konnte nicht anders, als mir die Widmung noch einmal anzuschauen. Für Leonard , stand da, ein besonderes Geschenk für einen guten Freund und Nachbar .
Selbst hier drehte es sich um den verstorbenen Bruder. Seltsam fand ich allerdings die Bezeichnung Freund und Nachbar . Dickens war vor zwanzig Jahren gestorben. Wie alt mochte Leonard zu dem Zeitpunkt gewesen sein? Vierzehn oder fünfzehn? Bezeichnete ein Erwachsener einen so jungen Mann bereits als Freund? Kurz überlegte ich, Holmes darauf anzusprechen, entnahm seiner zufriedenen Miene jedoch, dass er für den Moment mit seinen Gedanken ganz woanders war. Ich ließ ihm seinen Triumph und beschloss, diese ohnehin unwichtige Kleinigkeit abzuhaken.
Doch bereits bei unserer Abreise wurde ich erneut daran erinnert. Während sich unsere Kutsche langsam von dem Anwesen entfernte, warf ich einen letzten Blick zurück und erstarrte. Mein Gehirn brauchte einige Sekunden, um das Gesehene zu verarbeiten. Zuerst glaubte ich an eine Sinnestäuschung, hervorgerufen durch das Licht- und Schattenspiel der untergehenden Sonne. Doch auch bei längerer Betrachtung und nach ausgiebigen Reiben meiner Augen änderte sich nichts daran.
Der bei unserer Ankunft so prunkvoll aussehende Landsitz hatte sich auf einmal in ein ebenso heruntergekommenes wie verlassenes Gemäuer mit windschiefem Dach und verwildertem Garten verwandelt.
Eine eisige Gänsehaut erfasste meinen Arme und Beine. Sämtliche Feuchtigkeit verschwand aus meinem Mund, während mir Dickens’ Widmung und die alten Tageszeitungen wieder in den Sinn kamen. Hatte es sich dabei möglicherweise doch um mehr als zufällige Relikte einer vergangenen Zeit gehandelt? Wie viel von dem, was Holmes und ich gesehen und erlebt hatten, war tatsächlich passiert? Hatte die Pistolenkugel Nicolas Whedon wirklich haarscharf verfehlt? Und was, wenn nicht?
Einmal mehr überlegte ich, meinen Freund und Kollegen auf die Merkwürdigkeiten anzusprechen, ließ es aber auch diesmal bleiben. Allein unser vorheriger Fall über den verfluchten Mann hatte deutlich gezeigt, dass der große Sherlock Holmes zu sehr in den Gesetzen der Logik verankert war, um auch nur die Andeutung von etwas Übersinnlichem in Betracht zu ziehen. Abgesehen davon: Welchen Sinn hätte es gehabt, ihn jetzt noch auf diese Grübeleien hinzuweisen? Der Fall war abgeschlossen und wir beide freuten uns, nach London zurückzukehren. Im Gegensatz zu Holmes verspürte ich allerdings große Zweifel, dass wir den Mann, der sich in der Baker Street als Leonard Whedon ausgegeben hatte, jemals wiedersehen würden. Offen blieb zudem die gewaltige Familienähnlichkeit. Wie war dies möglich, wenn es sich lediglich um einen Freund oder entfernten Verwandten handelte? Bei dem Gedanken daran jagte mir ein kalter Schauer über den Rücken.
Volker Bätz
www.volker-baetz.de
Der Autor über sich: Was geschieht, wenn einen die Kindheitsabenteuer nicht loslassen? Wenn die Erinnerungen an böse Ritter, Drachen und Hexen noch lebhaft vor den eigenen Augen sind? Wenn es einem wie gestern erscheint, dass man in unvorstellbar schnellen Raumschiffen durch das endlose All gerast ist?
Eine mögliche Antwort ist zum Stift, moderner fabuliert zur Tastatur, zu greifen und Schriftsteller zu werden. So ist es mir vor etwa zehn Jahren ergangen und seitdem schreibe ich Roman um Roman, Geschichte um Geschichte. Ansonsten ist mein Leben völlig normal, ich bin Familienvater, IT Analytiker, Cineast, Leser. Viele Herzen wohnen in meiner Brust, aber erst in
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