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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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Reaktion darauf als eine weitere Kuriosität der Opéra ab, etwas, das ich schon verstehen würde, sobald ich mit dem Haus vertraut war und seine kleinen Eigenschaften kennengelernt hatte.
    Kurz darauf geseilte sich noch jemand zu uns. Ein Mann von etwa fünfzig Jahren mit einer Art Augenklappe über einem Auge und einem Zeichenblock auf dem Schoß. Er saß nicht weit von uns entfernt in einem leeren Zuschauerraum und beschäftigte sich emsig mit seiner Arbeit, wobei er, soweit ich das beurteilen konnte, nichts um sich herum wahrnahm. Seine Augenklappe diente nicht einfach nur der Bedeckung seines Auges, denn es war ein schmaler Schlitz darin, der auch ein wenig Licht hindurchsickern ließ.
    »Degas«, informierte mich Ponelle mit einem Flüstern, aber der Name sagte mir zu dieser Zeit noch nichts. »Beinahe blind auf einem Auge, aber er malt immer noch gerne ihre drallen, fleischigen Beinchen.«
    »Er malt nichts anderes als Pferde und Huren«, beklagte sich Bela und überließ mich meiner Verwirrung, in welche Kategorie nun wohl seiner Meinung nach das Ballett fiel.
    An diesem Abend führten wir Otello mit dem außergewöhnlichen de Reszke in der Titelrolle auf, etwas, das ich überaus befriedigend fand, da mir Verdis Musik derjenigen von Meyerbeer unendlich überlegen schien. Von meinem Blickwinkel im Orchestergraben bot sich mir eine einzigartige Perspektive, um das Publikum zu beobachten, und La Sorelli war eine Sensation als Desdemona.
    Aus reiner Neugier warf ich einen Blick in den Ersten Rang und war ein wenig gereizt, als ich feststellte, daß wieder einmal dieselbe Loge leer war.
    Und so begann eine höchst erfreuliche Routine. Proben am Morgen, Vorstellungen am Abend, für gewöhnlich, aber nicht immer unter der Leitung von Leroux. Während der folgenden Tage gewöhnte ich mich an den Anblick des einäugigen Künstlers, der im leeren Parkett saß oder manchmal auch auf der Vorderbühne selbst thronte, mit unbeirrbarer Konzentration in seiner Arbeit versunken. Er schien alle Mädchen beim Namen zu kennen, und sie neckten ihn und unterhielten sich mit ihm, wenn sie Leroux außer Hörweite wähnten.
    Im Laufe der Zeit wurde ich auch mit den anderen Feinheiten der Opéra vertrauter, und zwar sowohl im gesellschaftlichen als auch im dinglichen Bereich. So erfuhr ich zum Beispiel, daß die Kalliope, von der ich immer wieder hörte, in diesem Fall kein Musikinstrument war, sondern vielmehr der Spitzname für das komplizierte Gaswerk, das für die Beleuchtung des Theaters zuständig war. Obwohl die Theater in England mittlerweile ausschließlich elektrisch beleuchtet wurden, * rühmte sich das Palais Garnier noch immer eines komplizierten, gasbetriebenen Systems, das von vier Männern bedient werden mußte und seinen Standort im dritten Untergeschoß unter den Falltüren der Hauptbühne hatte.
    Ich brachte ebenfalls in Erfahrung, daß die Pferde, die ich bei der Vorstellung von Le Prophète so bewundert hatte, auf der vierten Unterebene lebten. Dort gab es einen ganzen Stall für nicht weniger als vierzig solcher Tiere und vier Kutschen, die alle dem einzigen Zweck dienten, die Aufführungen zu schmücken. Die Tiere kamen über die gestampfte Erde einer Spiralrampe, die fünf Stockwerke hinunterreichte, auf die Bühne. Ich bin mir nicht sicher, ob sie jemals das Licht des Tages zu Gesicht bekamen, außer bei den seltenen Ausflügen, die sie aus dem Theater hinaus und auf eine grüne Weide führten, auf der sie dann drei Wochen bleiben durften. Auch frische Luft bekamen sie nur durch die Ventilatoren, die eigens zu diesem Zweck unter dem Dach des Opernhauses angebracht waren.
    Während einer Vorstellung von Mondego galoppierte gegen Ende des ersten Akts ein wunderschöner weißer Wallach namens César mit dem Helden auf dem Rücken zum wilden Applaus des Publikums über ein Bühnentretwerk. Als ich Jaques, den Dompteur des Tieres, kennenlernte, machte ich eine Bemerkung über Césars Vorstellung, denn es wunderte mich, daß das Pferd bei all der Unruhe nicht scheute. Jaques lachte nur.
    »Der hat Theater im Blut. Er kennt die Oper auswendig, hört die Musik und weiß, wann es an der Zeit für die Tretmühle ist.«
    Der junge Ponelle, der Geiger zu meiner Rechten, wurde in allen Angelegenheiten, die das Haus und seine Geschichte betrafen, zu meinem Almanach. Einmal, als er mich darauf hinwies, daß der Kronleuchter, der über dem Publikum hing, fast sechs Tonnen wog, fragte ich ihn, woher er all diese buntgemischten

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