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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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als bescheidenen Bezahlung. Ihre einzige Aufgabe bestand darin, im Haus herumzulaufen und jede offene Tür, auf die sie zufällig trafen, zu schließen. Ich muß kaum betonen, daß es von solchen Türen einige hundert gab.
    Diesmal fand ich das Orchester und brachte es fertig, bei den ersten Geigen zu sitzen, noch bevor Leroux erschien. Ich hatte gerade noch genug Zeit, um mich meinen Nachbarn zu beiden Seiten vorzustellen, einem jungen Mann mit blauen Augen zu meiner Rechten, der sich Ponelle nannte und mich mit einem warmen Lächeln willkommen hieß, und einem kahlköpfigen Individuum von etwa sechzig Jahren zu meiner Linken, das einen grimmigen Schnurrbart hatte und mir nur einen kurzen, finsteren Blick zuwarf, bevor es sich wieder seiner Violine zuwandte, deren dSeite ihm beträchtliche Schwierigkeiten zu bereiten schien. Sein Name, so erfuhr ich später, war Bela. Und wie dieser Name bereits andeutete, war er ungarischer Abstammung und schien alles andere als erfreut zu sein, mich zu sehen.
    Leroux betrat mit schnellen Schritten das Podium und wünschte uns einen schroffen guten Morgen.
    »Zu den ersten Geigen gehört jetzt auch Monsieur Henrik Sigerson«, kündigte er an, wobei er mit einer ausholenden Geste seines kräftigen Armes in meine Richtung wies. Ich nickte. Leroux setzte sich einen goldenen Kneifer auf den Nasenrücken (er hing an einem ausgefransten, verblichenen Seidenband um seinen Hals) und begann ruckartig, die Seiten der vor ihm liegenden Partitur umzublättern. Ich ergriff die Gelegenheit, mein Instrument auszupacken und es hastig zu stimmen. Es wurde das Ballett aus dem dritten Akt aus Le Prophète gespielt – die Schlittschuhmusik.
    »Was haben Sie gestern abend von der Daaé gehalten?« Leroux schien seine Frage an das Blech zu richten, während er gleichzeitig weiter in seiner Partitur blätterte.
    »Erstaunlich«, sagte eine Stimme von den Posaunen. Daraufhin gab es einiges Gelächter, als wolle man damit sagen, daß man von dem jungen Sopran etwas Derartiges nicht erwartet hätte.
    »Ich werde einfach nicht schlau daraus«, gestand Leroux zustimmend. »Völlig unausgeglichenes Temperament. Manchmal scheint sie gar nicht richtig bei der Sache zu sein. Dann wieder …« Er ließ den Satz mit einem eleganten Schulterzucken verklingen.
    »La Sorelli muß sich vor der Kleinen in acht nehmen«, bemerkte das Schlagzeug.
    »Wer hat denn Sie gefragt?« fiel der Dirigent über die Stimme her. Bevor der Mann antworten konnte, pochte Leroux nachdrücklich mit seinem Taktstock auf das Pult. Entr’acte ! Eins, zwei …«
    Und los ging’s. Es war Jahre her, seit ich in solchem Umfang vom Blatt gespielt hatte, und nun war ich in schwerer Bedrängnis, wenn ich den anderen folgen und meine Gegenwart hier rechtfertigen wollte, aber meine Finger waren vom vielen Üben geschmeidig geworden, und, wie einmal irgend jemand bemerkt hat, die ganze Sache ist nicht soviel anders als das Fahrradfahren – wenn man es erst einmal gelernt hat, vergißt man es nicht mehr.
    Leroux war ein überaus gewissenhafter Zuchtmeister mit Ohren am Hinterkopf. Ich kann nicht behaupten, daß Meyerbeers Musik besonders tiefgründig war, aber sie war gut geschrieben, und der Dirigent war fest entschlossen, ihr auch die kleinste Einzelheit abzuringen. Ich fand die Probe sehr belebend und war erstaunt darüber, wie schnell die Zeit verflog. Wir arbeiteten fast eine Stunde lang an der Passage. Dann gab es eine zehnminütige Pause, während der wir unsere Beine ausstrecken durften, bevor das corps de ballet auf der Bühne über uns erschien. Von meinem Stuhl aus konnte ich kaum etwas von ihren Mätzchen sehen, aber die Mädchen waren offensichtlich temperamentvoll und gut gelaunt, denn ich hörte ihr Kichern und das fröhliche, schneidende Geräusch ihrer Schlittschuhe, während sie auf dem Eis über uns herumwirbelten.
    »Jammes, geh wieder zurück, wo du hingehörst!« rief Leroux einem der Mädchen zu, während er uns gleichzeitig mit einer Hand beharrlich weiterdrängte.
    »Tut mir leid! Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist«, rief eine kindliche Stimme. Jammes, so erfuhr ich später, war erst fünfzehn.
    »Muß der Geist gewesen sein«, murmelte Ponelle zu meiner Rechten. Seine Aussprache war von der Violine, die unter seinem Kinn klemmte, ein wenig beeinträchtigt. Bela runzelte die Stirn. Es war ganz offensichtlich, daß er über den Geist nicht lachen konnte. Was mich betraf, so tat ich Ponelles Scherz und Belas

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