Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
Vom Netzwerk:
entkommen.«
    »Das war es nicht, was ich meinte«, antwortete sie rätselhaft und erwiderte meine frühere Geste, indem sie mir langsam ihre Hand entzog.

    Die städtische Planungskommission hatte ihren Sitz in der Rue de Varenne Nr. 76. Die Rue de Varenne war eine relativ schmale Durchgangsstraße mit schmalen, baumlosen Bordsteinen. Bis auf das Zuhause von Mrs. Wharton beherbergte die Straße hauptsächlich Regierungsgebäude. * Ein Angestellter, der mitten in dem gelblichmarmornen Foyer der Planungskommission an einem Empfangstisch saß, setzte mich mit einer beflissenen, wenn auch ein wenig herablassenden Miene davon in Kenntnis, daß ich die Abteilung für öffentliche Gebäude suchte, die sich hundert Schritte von diesem Haus entfernt in der Nummer 92 befand.
    Also begab ich mich nach Nummer 92, fand dort einen etwas entgegenkommenderen Angestellten und unterbreitete ihm meinen Wunsch, die Baupläne des Palais Garnier zu sehen.
    »Aber mit Vergnügen, Monsieur. Alle Pläne von öffentlichen Gebäuden stehen der Öffentlichkeit zur Verfügung. Ich muß allerdings eine Instandhaltungsgebühr von zwei Francs erheben.«
    Dankbar für diesen demokratischen Grundsatz bezahlte ich die Gebühr, folgte meinem Führer durch endlose Stapel zerfallender Dokumente und wartete am Fuß eines dieser Stapel, während er auf einer großen Rolleiter hinaufkletterte.
    »Na, das ist aber komisch.«
    »Kann ich Ihnen helfen?« Er sagte für eine ganze Weile nichts mehr, und ich wartete ungeduldig, während er über meinem Kopf herumstöberte und mich mit Staub und kleinen Stückchen vergilbenden Papiers berieselte, das sich wie ein überalteter Schneeregen über mich ergoß.
    Schließlich kam er herunter und sah mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an.
    »Sie sind verschwunden.«
    »Was denn, alle?«
    Er kratzte sich wie zur Antwort am Kopf, bedeutete mir dann, ihm zu folgen, und wir bahnten uns unseren Weg durch weitere Papierstapel, nur um in einem anderen Gang zu demselben Ergebnis zu kommen.
    »Sehr komisch.«
    Ich fand es überhaupt nicht komisch, sagte aber nichts dergleichen.
    Ich fragte mich, ob ich das Recht hätte, die zwei Francs zurückerstattet zu bekommen, beschloß dann aber nach einiger Überlegung, auch davon nichts zu erwähnen.
    »Was ist mit dem Architekten?« fragte ich statt dessen.
    »Von wem sprechen Sie?«
    »Garnier. Haben Sie eine Ahnung, wo ich ihn finden könnte?«
    »Père Lachaise – aber ich glaube nicht, daß er mit Ihnen reden wird, Monsieur.«
    »Warum denn nicht?«
    Er lächelte und schien sich seines Scherzes ein wenig zu schämen.
    »Père Lachaise ist ein Friedhof, Monsieur.«
    »Aha.«
    Charles Garnier, so schien es, war vor zwei Jahren gestorben und mit nicht unerheblichem Zeremoniell auf dem berühmten Friedhof beigesetzt worden. *
    Und so versperrte sich mir ein weiterer Weg, auf dem ich hätte Nachforschungen anstellen können, aber in meinen Gedanken formte sich eine bestimmte Idee. Mir war jetzt klar, daß das Phantom mehr von der Opéra wußte als irgend jemand sonst, und daß es seine Vorkehrungen getroffen hatte, daß das auch so bleiben würde. Es war ein unglücklicher Umstand, daß der Schöpfer des Labyrinths tot war, denn nach dem Verschwinden der Pläne wäre sein Wissen überaus hilfreich gewesen.
    Ich ging die Straßen des rive gauche entlang, blind und gedankenverloren, während ich versuchte, wieder Herr meiner Sinne zu werden. Zweifellos hätte ich mit der Suche nach den Bauplänen beginnen sollen, bevor ich Christine Daaé besuchte; ich hätte mit Debienne und Poligny sprechen sollen, bevor ich dem kleinen Vicomte Liebesbotschaften überbrachte. Es gab so viel ›hätte‹ und ›wäre‹ in meiner Schuldlitanei. Diese und andere Torheiten machten mich schuldig, aber mir wurde klar, daß ich mit meinen Nachforschungen niemals vorwärtskommen würde, wenn ich mich weiter mit solchen Überlegungen aufhielt. Es war immer leicht, im nachhinein klug zu sein, wie Irene Adler bereits angedeutet hatte. Daher beschloß ich mit einem resoluten Schulterzucken, diese Dinge hinter mir zu lassen und noch einmal von vorn zu beginnen.
    Meine Hauptschwierigkeit bestand darin, daß ich es mit einem Verrückten zu tun hatte; die Logik, die mir für gewöhnlich weiterhalf, war auf Gedeih und Verderb einem Unhold ausgeliefert, dessen Entscheidungen in undurchdringliche Rätselhaftigkeit gehüllt waren. Wenn er verrückt war, dann mußte ich das System hinter seinem Wahnsinn finden.

Weitere Kostenlose Bücher