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Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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Kutsche gleich hinter dem Leichenwagen zu. Zweifellos enthielt sie die untröstlichen Anverwandten des Verstorbenen, womöglich lauter Herzöge und dergleichen, aber Holmes war nicht aufzuhalten: Er schwang sich auf den Bock, entriß dem wie vom Donner gerührten Fahrer die Zügel, lenkte das Gefährt aus seinem Platz in der Prozession und ließ die Peitsche knallen.
    »Watson!«
    Die Kutsche donnerte auf uns zu, und Holmes bedeutete mir, aufzuspringen. Es gelang mir sowie Freud und dem unerschütterlichen Wachtmeister, auf das Fahrzeug aufzuspringen.
    Es ist mir unmöglich, die überraschten und entsetzten Mienen der Insassen zu beschreiben. Es waren vier, alle einheitlich in elegantes Schwarz gekleidet: Ein korpulenter Herr mit rotem Gesicht und einem altmodischen, weißen Backenbart verfiel in hilfloses Stottern; ein junges Mädchen von etwa sechzehn Jahren mit einem Halbschleier starrte uns aus weit aufgerissen Augen an; eine ebenfalls verschleierte, rundliche alte Dame war so in Trauer versunken, daß sie uns gar nicht bemerkte, sondern weiterhin heiße Tränen in ein schwarzes Batisttüchlein weinte. Neben ihr saß ein junger Mann, wahrscheinlich ein Sohn oder Neffe, der gleichzeitig versuchte, ihr Trost auszusprechen und sich unsere Anwesenheit zu erklären. Hin- und hergerissen zwischen seinen verwandtschaftlichen Pflichten und seiner Verwirrung, stufte ich ihn weder als besonders bedrohlich für uns noch als besonders tröstlich für die Trauernde ein.
    All dies nahm ich in einem Bruchteil der Zeit wahr, die es dauerte, darüber zu berichten. Ich war damit beschäftigt, die Tür zu öffnen und gleichzeitig Holmes meinen Revolver zu geben, damit der Kutscher nicht auf dumme Gedanken kam.
    Der Wachtmeister war auf der anderen Seite aufgesprungen und hielt seine eigene Pistole bereit. Aber die Fahrgäste blieben passiv und reagierten auch nicht, als er ihnen in äußerst offiziellem Ton versicherte, daß es sich um einen Notfall handele und daß kein Grund zur Beunruhigung vorliege. Zweifellos erschien ihnen das als eine in sich widersprüchliche Aussage.
    Da innen nicht genug Platz war, mußte Freud mit wehendem Haar auf dem Trittbrett stehen und sich am Fensterrahmen festhalten. Sein Haar wurde vom Fahrtwind zerzaust. Die restlichen Polizisten und die Trauergemeinde ließen wir hinter uns.
    »Wo ist der nächste Bahnhof?« rief Holmes dem Wachtmeister durchs Guckloch zu.
    »Der Zug nach München geht nur von –«
    »Zum Teufel mit dem Zug nach München! Der nächste Bahnhof, Mann!«
    Der Wachtmeister erklärte ihm brüllend den Weg zum Heiligenstädter Bahnhof, und ich konnte wieder die Peitsche knallen hören.
    Abgesehen von den Geräuschen der Pferde, dem Knarren der Geschirre und dem Schluchzen der alten Dame herrschte Schweigen. Der Wachtmeister, der sich das Kutscheninnere besah, stieß mich an und zeigte mit dem Kopf auf die Tür, auf der ein eindrucksvolles Wappen prangte.
    »Ich hoffe, Herr Holmes weiß, was er tut«, flüsterte er mir zu.
    »Ich auch«, bemerkte Freud. Er schaute durchs Fenster herein und hatte ebenfalls das Wappen auf der gegenüberliegenden Seite erspäht.
    »Keine Sorge«, erwiderte ich, was unter diesen Umständen, wie ich mir selbst sogleich eingestand, eine recht idiotische Aufforderung war.
    Nachdem wir wieder den Kanal überquert hatten, machte die Kutsche quietschend eine scharfe Rechtswendung – wie mir schien auf zwei Rädern. Als die Balance wieder hergestellt war, konnte ich auf der linken Seite Eisenbahndepots sehen und vermutete, daß wir auf den Bahnhof zufuhren.
    Das war in der Tat der Fall. Wenige Minuten später kamen wir mit einem Ruck zum Stehen. Noch bevor wir anderen abgestiegen waren, rannte Holmes schon auf den Bahnhof zu. Während Freud und ich ihm nachstolperten, blieb der Wachtmeister zurück, um sich noch einmal bei den Trauernden für unser Eindringen zu entschuldigen. Er salutierte sogar zum Abschied, wohl aus Respekt vor ihrem hohen Rang.
    Wir fanden Holmes in aufgeregter Konversation mit dem Stationsvorsteher, von dem er erfahren hatte, daß der Baron von Leinsdorf vor etwa drei Stunden mit einem Extrazug abgereist sei.
    »Wir brauchen auch einen Extrazug«, forderte Holmes, aber der Mann erklärte ihm, daß allein das dafür notwendige telegraphische Räumen der Strecken etwa zwei bis drei Stunden dauern würde. Der Baron hatte offenbar seinen Zug bestellt, sobald wir sein Haus verlassen hatten.
    Holmes lauschte mit halbem Ohr, während der brave

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