Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge (German Edition)
Mutter unterbrochen.
»Schweig, Willie! All das Reden, all der Spott über sie hat uns nur geschadet. Wir müssen schweigen.«
Holmes drängte nicht, blieb auch still, nahm einen Schluck aus seinem Glas und hoffte auf die Wirkung des harten Getränks auf die beiden. Vergeblich. Sie blieben stumm, bis Holmes sich nach den negativen Erfahrungen der Familie Wilde mit Moriarty erkundigte.
»Eine Schneise des Bösen durch ein blühendes Feld«, orakelte die Lady.
»Ihr Sohn Oscar erwähnte am Ende unseres Gesprächs, dass Ihnen, Lady Wilde, etwas Ähnliches widerfahren sei wie ihm selbst. Es muss sich um eine Auseinandersetzung vor Gericht gehandelt haben.«
»Ach das«, seufzte sie, und der schmerzliche Ausdruck auf ihrem Gesicht stand in groteskem Gegensatz zu den kräftigen Farben der Schminke. »Ich wollte die Ehre meines Mannes wiederherstellen und bin dabei gescheitert, habe mich zum Clown gemacht.«
»Sie haben Vater beschuldigt, eine Patientin mit Chloroform betäubt und dann vergewaltigt zu haben«, erklärte der Sohn.
»Ich beschwerte mich beim Vater der Lügnerin, mit dem Resultat, dass er mich anklagte. Mein Mann weigerte sich, in den Zeugenstand zu treten, und ich verlor den Prozess. Zum Clown degradiert wie mein Mann, der sich von da an aus der Gesellschaft zurückzog, dann auch noch zwei seiner Töchter bei einem Brand verlor und mit einundsechzig starb. Er, der einmal Leibarzt der Queen gewesen war.«
»Sie erwähnen zwei seiner Töchter.«
»Emily und Mary. Sie hatten eine andere Mutter. Mein Mann führte in jungen Jahren ein bewegtes Leben. Genau wie ich selbst.«
»Um weiteres Unheil von Ihrer Familie fernzuhalten, ich denke an Oscar Wildes Frau und seine beiden Söhne, würde mir ein Hinweis sehr helfen, in welcher Beziehung Moriarty zu Ihnen steht. Mir sind die Gründe seines Hasses auf die Familie Wilde noch nicht bekannt.«
»Gründe, Gründe!«, rief die Frau aufgebracht. »Es gibt keine Gründe, jemandem das anzutun, was sie uns angetan haben.«
Holmes bemerkte, dass Lady Wilde schon zweimal die Mehrzahl verwendet hatte, wenn sie von Moriartys unheilvollem Einfluss auf die Familie gesprochen hatte. Er wollte gerade nachfragen, welchen Hintergrund das habe, als es aus ihr hervorbrach: »Es begann in der verdammten Schule.«
»Dem Internat in Irland, das Oscar und ich besuchten«, erklärte ihr Sohn.
»Was begann dort?«, fragte Sherlock Holmes.
»Das Elend unserer Familie«, antwortete Lady Wilde, dann fügte sie noch hinzu: »Aber von nun an bleibt unser Mund verschlossen. Sie haben Oscars Frau und die Kinder erwähnt. Ihnen zuliebe werden wir schweigen. Es ist zu gefährlich. Willie, Oscar und ich haben ja nichts mehr zu verlieren. Aber wir müssen auf Constance und die Söhne achten.«
»Das irische Internat«, bohrte der Detektiv unbeirrt weiter.
»Wir stammen aus Irland«, erklärte William. »Es handelt sich um die Portora School in Enniskillen.«
»Schweig, Willie, schweig!«
Der Detektiv erreichte die graue Stadt Enniskillen in Irland nach einer beschwerlichen mehrtägigen Reise per Bahn, Schiff und Pferdefuhrwerk. Dichte Regenwolken hingen über den geduckten, mit Stein gedeckten Häusern und feuchter Wind schlug ihm entgegen, als er in der Nähe der Portora School die Reisekutsche verließ, um eine Unterkunft zu suchen.
Alles hier wirkte eng und wenig einladend, nur der Fluss Erne, der hier zu einem See, Lough Erne genannt, aufgestaut war, vermittelte so etwas wie Freiheit. Also entschloss sich Holmes, ein Quartier an diesem Gewässer zu nehmen. Die Sprache der Gegend schien rau und fremd, auch wenn die Menschen sich bemühten, Englisch zu sprechen.
Die rothaarige Besitzerin der Pension, deren Zimmer auf die weite Wasserfläche blickten, war freundlich, die Räumlichkeiten erwiesen sich als sauber und gut geheizt. Das war dem Detektiv wichtig, denn es war kalt hier Ende Mai.
Nachdem sich Holmes nach der langen Reise erfrischt und etwas erholt hatte, erkundigte er sich bei Miss McMenamin nach einem Lokal, in dem er essen konnte.
»Die Väter der Schüler loben das Mulligan am Brookview Rise, gleich um die Ecke. Aber auch ich kann Ihnen etwas zu Essen machen.«
»Vielen Dank für das freundliche Angebot. Ich will etwas über die Schule und seine Schüler erfahren. Da ist es wichtig, Menschen zu treffen.«
»Sie sind Journalist?«, fragte die Frau etwas misstrauisch.
Holmes verneinte. »Eine persönliche Angelegenheit. Ein wichtiger Mensch in meinem Leben, den
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