Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge (German Edition)
Bewegungsfreiheit.
Dennoch entschloss sich der Detektiv, seinen Plan durchzuziehen.
Nachdem die letzten Teller abgeräumt und durch Blumenarrangements ersetzt worden waren, eröffnete der Bürgermeister der Stadt den Reigen der Festreden. Ihm folgte der irische Mathematiker John Edward Campbell. Der scheue Wissenschaftler wandte sich zuerst lobend an Moriartys Mutter, indem er betonte, welche Bedeutung Frauen im Hintergrund für die Entwicklung großer Männer hätten und dass er hoffte, dass einst der Tag kommen werde, da auch Frauen, den Männern gleichgestellt, in Wissenschaft und Forschung in der ersten Reihe stehen könnten.
Ein Raunen ging durch den Saal, denn viele der Anwesenden meinten, Campbell gehe mit dieser Forderung zu weit.
Doch als Elena Moriarty mehrmals beifällig nickte, verstummte der ohnehin nur zurückhaltend geäußerte Protest. Der folgende Teil seiner Rede, den er einer, den meisten unverständlichen, mathematischen Formel widmete, ging in Tischgesprächen unter, die umso lauter wurden, als er geendet hatte. Erst der helle Klang eines Messers gegen eines der Gläser brachte das Stimmengewirr zum Verebben.
»Bitte, Mr. Holmes, kommen Sie doch an das Pult!
Man sieht Sie von dort viel besser«, bat Mrs. Moriarty den Detektiv, seinen Platz zu verlassen.
Holmes kam diese Aufforderung ungelegen. Nur ungern wich er von der Seite seines Freundes und dessen Frau, doch blieb ihm letztlich nichts anderes übrig.
»Sehr geehrter Herr Professor, geschätzte gnädige Frau«, begann er seine Rede, wobei er den Tisch, an dem John und Mary Watson saßen, im Auge behielt. »Als ständiger Beobachter Ihres interessanten Lebensweges, Ihres unaufhörlichen Voranschreitens in wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht kommt man nicht umhin, sich Gedanken zu machen, welche Kraft einem Mann wie Ihnen und einer Frau wie Ihnen, Mrs. Moriarty, die Lebensenergie verleiht. Ich möchte in meiner nicht allzu langen Rede versuchen, mögliche Antworten auf diese Frage zu finden, die einerseits vermutlich in den familiären Wurzeln, andererseits in ungewöhnlichen, oft tragisch zu nennenden Ereignissen im Leben der genannten Personen zu finden sind.«
Mrs. Moriarty legte unbeirrt lächelnd ihre linke Hand auf die ihres Sohnes.
»Beginnen wir mit dem nullten Geburtstag des Jubilars, denn, wie jeder Mathematiker nachweisen kann, feiern wir unseren ersten Geburtstag erst ein Jahr, nachdem wir zur Welt gekommen sind. Fünfzigster Geburtstag bedeutet, wie wir alle wissen, dass der Mensch, der ihn begeht, fünfzig Jahre in dieser Welt hinter sich hat. 13. Juni 1845. Miss Elena Moriarty, eben erst vom Biss einer giftigen Schlange genesen, gebiert ihren Sohn James, unterstützt von ihrer eigenen Familie, in der der Großvater des jungen Mannes bereits Mathematiker war. Er nahm großen Einfluss auf die akademische Entwicklung des späteren Professors, der schon in frühen Jahren mit der Veröffentlichung eines binomischen Lehrsatzes die Aufmerksamkeit der Welt der Wissenschaft auf sich zog. Im Alter von einundzwanzig Jahren unterrichtete er andere junge Menschen an der Portora School in Enniskillen, darunter seine beiden Halbbrüder, die sich weniger für Zahlen und Logik interessierten als für die Welt des Wortes, mit dem sie zeitlebens nicht sehr verantwortungsvoll umgingen. So viel an Kritik sei erlaubt.«
Mrs. Moriarty war bei diesen Worten des Detektivs bleich geworden. Wieder verbarg sie ihre schmalen Lippen mit der rechten Hand. Sie redete heftig auf ihren Sohn ein, der schließlich mit einer Handbewegung einen Diener zu sich bat und diesem, von Holmes abgewandt, Anweisungen gab.
Der Detektiv ahnte, dass es nun gefährlich würde. Für ihn und seine Freunde. Während er weitersprach, beobachtete er die Vorgänge im gesamten Saal. »Professor Moriarty konnte sich aufgrund seiner Begabung und seines Ehrgeizes, in dem er von seiner Mutter bestärkt wurde, vom Lehrer einer irischen Landschule zum Wissenschaftler hocharbeiten, der an seinem Ehrentag als Eigentümer der wichtigsten Zeitung des Landes und Mitherausgeber des führenden Lexikons an den Schalthebeln der Macht, der Meinungsbildung weiter gesellschaftlicher Schichten ...« Sherlock Holmes redete weiter, auch als er sah, dass sich ein Diener der Frau des Bürgermeisters näherte und sie etwas fragte. Dabei berührte er die Frau mit einer Hand an der Hüfte. Bevor sie darauf reagieren konnte, glitt sie von ihrem Sessel. Der Diener entfernte sich. Ein
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