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Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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Stirn, »ich erinnere mich jetzt. Holmes, als ich im Jahre ’81 aus Afghanistan zurückkam, habe ich dieses Stück gesehen! Es war im Savoy?« fragte ich Shaw.
    »Soviel ich weiß, wurde das Theater damit eröffnet«, bestätigte der Kritiker.
    »Ich bin meiner Sache beinahe sicher, nur daß ich mich ums Leben nicht daran erinnern kann, worum es ging. Ich vergesse die Handlung immer nach ein oder zwei Wochen. Auf dieses Stück besinne ich mich, weil ich es, schon während ich es sah, nicht verstand – Soldaten kamen darin vor und jemand mit sehr langen Haaren, der beim ganzen Chor beliebt war.«
    »Können Sie sich präziser ausdrücken?« erkundigte Holmes sich bei Shaw.
    »Die Oper parodiert mit ziemlichen Geschick den ganzen ästhetischen Oscar-Wilde-Kult. Sie konnten damit nichts anfangen, Doktor, weil Sie nicht im Lande waren, als Wilde und seine Freunde zuerst auf der Szene auftauchten. Wilde selbst erscheint in dem Stück in Gestalt des Reginald Bunthorne – ›ein fleischlicher Poet‹.« Shaw grinste, hustete und brach in Gesang aus. Seine Stimme erwies sich als überraschend musikalisch, ein nicht sehr kräftiger Bariton, der den einen oder anderen Kopf in unserer näheren Umgebung veranlaßte, sich in unsere Richtung zu drehen:

    Liegt dir daran, zu glänzen,
    Dich als Ästhet zu kränzen,
    Als Mann von feinstem Sinn,
    Dann sammle sämtliche Keime
    Von transzendentalem Gereime
    Und pflanz sie um dich hin.
    Mußt dich auf Gänseblümlein legen
    Und interessante Reden pflegen
    Von deiner Seele komplizierter Qual.
    Der Inhalt ist nicht wichtig,
    Es ist schon alles richtig,
    Ist das Geschwätz transzendental.
    Du wanderst auf geheimen Pfaden,
    Und um dich rufen die Myriaden:
    ›Da dieser junge Mann so unverständlich spricht
    (Denn ich versteh’ ihn wirklich nicht),
    Ist eins ganz klar. Er ist ein großes Licht.‹
    Da wir keine Anstalten machten, ihn zu unterbrechen, fuhr er fort:

    Und süße Leidenschaften,
    Die mehr an Pflanzen haften,
    Sind müdem Sinn zum Lohne,
    Verschämte Jungkartoffel-Knollen,
    Die Liebe à la Plato wollen,
    Vielleicht auch eine – nicht zu grüne – Bohne.
    Und wenn dich die Philister noch so sehr verhöhnen,
    Hohe Ästhetik wird dich zum Apostel krönen,
    Dann sieht man dich in Piccadilly schreitend,
    Die gotisch edle Hand um Mohn und Lilie breitend.
    Du wanderst auf geheimen Pfaden,
    Und um dich rufen die Myriaden –
    Hier brach er ab, hüstelte aufs neue und blickte verlegen um sich.
    »So geht es für ein oder zwei Verse weiter. Wie dem auch sei, das ist Bunthorne – und, verlassen Sie sich darauf, das ist Oscar.« Er schaute auf die Uhr. »Du lieber Himmel, ich muß gehen. Ich habe meinen Spaß gehabt, jetzt muß ich dafür bezahlen. Wo treffen wir uns wieder? Ich würde gerne hören, was für Fortschritte Sie gemacht haben.«
    »Zum Abendessen bei Willi’s?« wagte ich vorzuschlagen.
    »Das ist mir etwas zu schwer für den Magen.«
    »Wie wäre es mit Simpson’s?«
    »Einverstanden.« Er erhob sich. »Kurz vor acht?«
    »Einen Augenblick.« Holmes legte die Hand auf seinen Arm. »Kennen Sie Mr. Wilde persönlich?«
    »Ich kenne ihn, wenn auch nicht sehr gut. Wir sind zu beeindruckt von unseren jeweiligen Talenten, daher schüchtern wir uns gegenseitig ein.«
    Holmes ließ den Arm des Kritikers nicht aus seinem Griff. »Ist er wirklich ein Genie?«
    »Oscar? Ein paar der gescheitesten Köpfe in London sind der Meinung – Harris, Max Beerbohm, Whistler –«
    »Und Sie?«
    »Was macht es aus, ob er ein Genie ist oder nicht und ob ich ihn für eines halte?«
    »Ich versuche, die dramatis personae in dieser Affäre kennenzulernen. Sie hielten nicht viel von Jonathan McCarthy; ich wüßte gern, wie Sie Oscar Wilde einschätzen.«
    »Nun gut«, er runzelte die Stirn und kaute auf ein paar Barthaaren. »Ja. Ich würde unbedingt sagen, ja, er ist ein Genie. Seine Theaterstücke werden zu den glänzendsten unserer Sprache gezählt werden – und sie sind die geringsten seiner Werke. Patience andererseits wird noch zu seinen Lebzeiten passé sein. * Ein Genie«, wiederholte er widerwillig, »aber er spielt mit dem Feuer.«
    »Warum?«
    Shaw seufzte und erwog, wie diese Frage am besten zu beantworten sei. Es bereitete ihm mehr Schwierigkeiten, als ich gedacht hätte, eine Antwort zu formulieren.
    »Es steht mir nicht zu, mich genauer zu äußern«, sagte er vorsichtig.
    »Dann äußern Sie sich allgemein«, riet ihm Holmes.
    Shaw verfiel in erneutes Grübeln. Die

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