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Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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antworten, und machte sich hinter dem Empfangstisch zu schaffen.
    Es drang allerdings ein beträchtliches Getöse aus dem Salon, und Holmes und ich begaben uns voll unverhohlener Neugier zu seiner Quelle. Man konnte Gläserklirren und munteres Stimmengewirr unterscheiden; letzteres war von plötzlichen, schrillen Ausbrüchen johlenden Gelächters durchsetzt.
    Meine erste Empfindung beim Betreten des Raums war die, in H.G. Wells’ Zeitmaschine in die Vergangenheit gereist und in eine Art römischer Saturnalien geraten zu sein, zwischen Satyre, panähnliche Cherubime und Elfen. Ein zweiter Blick überzeugte mich davon, daß die jungen Männer – etwa ein Dutzend an der Zahl –, die hier versammelt waren und sangen, Gedichte rezitierten und einander zutranken. Sie trugen allesamt moderne, wenn auch hier und da etwas aus der Fasson geratene Kleidung. Es bedurfte nur eines Augenblicks, um festzustellen, wer in erster Linie für den klassischen Anstrich der Szene verantwortlich war. Mitten im Zimmer, seine Gäste in Umfang wie Statur überragend, stand der Leviathan Oscar Wilde selbst. Sein sonderbares, langes Haar war von Lorbeer oder etwas sehr Ähnlichem umwunden, und seine tiefe, volle und sonore Stimme beherrschte den Raum so vollständig wie seine Erscheinung.
    Unberührt von dem Pandämonium deklamierte er, einen Arm um die Schulter eines schlanken Jünglings mit blondgelocktem Engelskopf gelegt, ein Gedicht, das etwas mit Daphnis und Chloe zu tun hatte (in dem Tumult konnte ich nur hier und da einen Wortfetzen aufschnappen).
    Nach wenigen Augenblicken machte sich unsere Anwesenheit auf der Türschwelle bemerkbar, und die Zecher verstummten, Lieder und Scherze wurden abgebrochen, und nur Wilde ließ sich nicht stören. Mit dem Rücken zur Tür, der Eindringlinge nicht gewahr, fuhr er fort, bis das allmähliche Abflauen des munteren Treibens ihn veranlaßte, sich umzudrehen. Eine unangenehme schlaffe Hand hob sich und zerrte das Weinlaub aus dem wirren, dunklen Haar. Sein Gesicht war überraschend hübsch und jugendlich, obwohl er meines Wissens vierzig sein mußte. Eine übertriebene Neigung zum Essen und Trinken hatte ihre Spuren hinterlassen und seine Züge aufgeschwemmt. Aber seine grauen Augen waren klar und lebhaft, sein Ausdruck gewinnend. Nur seine dicken, sinnlichen Lippen und sein Umfang verrieten die Ausschweifungen, denen er sich hingab.
    Während er uns ins Auge faßte, kreisten unterdrückt geflüsterte Vermutungen über den Zweck unseres Besuchs. Ich vernahm mehr als einmal das Wort Polizei.
    »Polizisten?« rief Wilde. Seine Stimme war so sanft wie eine Liebkosung und so tief wie eine Klosterglocke. »Polizisten?« Er näherte sich langsam, seinen Kranz in der Hand, und betrachtete uns aufmerksam. »Nein, nein«, beschloß er mit einem hinreißenden Lächeln. »Ich glaube nicht. Auf keinen Fall. Es gibt nichts Unästhetischeres auf der Welt wie einen Polizisten.«
    Diese Bemerkung bewirkte einiges Gekicher im Hintergrund. Es fiel mir auf, daß er die sonderbare Angewohnheit hatte, beim Sprechen seinen Mund mit einem gekrümmten Finger zu bedecken. Er betrachtete Holmes voller Interesse, und der Detektiv erwiderte unbewegt seinen Blick. Ihre grauen Augen trafen sich.
    »Wir sind vielleicht weniger ästhetisch, als Sie denken«, sagte Holmes, ohne mit der Wimper zu zucken, griff in seine Brusttasche und überreichte seine Karte. Der städtische Dionysos überflog sie mit einem flüchtigen Blick.
    »Ach, du meine Güte«, murmelte er, nicht weiter erstaunt. » Noch mehr Detektive. Keine sehr ästhetische Gesellschaft, da muß ich Ihnen zustimmen. Wie dem auch sei, ich will nicht heucheln und so tun, als habe ich nie von Mr. Sherlock Holmes gehört.« Die eingeschüchterten Trinkbrüder raunten sich hinter seinem Rücken den Namen in einem ehrfürchtigen Ton zu, dessen Feierlichkeit nur von einem vereinzelten Kichern beeinträchtigt wurde. Wilde, die leuchtenden Augen nun einschätzend auf mich gerichtet, fuhr fort: »Und das muß Dr. Watson sein. Es steht außer Frage. Nun«, seufzte er, sammelte sich und produzierte sein bezauberndes Lächeln, »was wünschen Sie, meine Herren? Kann ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?«
    »Ein oder zwei Minuten mit Ihnen allein, das ist alles.«
    »Geht es um den Marquis?« fragte er mit erhobener Stimme und begann zu zittern. »Wenn ja, dann kann ich Ihnen nur sagen, daß ich die ganze Angelegenheit meinem Rechtsanwalt, Mr. Humphreys, übergeben habe und daß Sie

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