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Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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mephistophelischen Brauen waren von innerer Sammlung gefurcht. »Oscar hat sich mit der Welt verfeindet«, begann er, sorgfältig seine Worte wählend. »Er liebt es, sich mit der Welt anzulegen. Er nimmt sie nicht ernst.« Er legte seine Hände auf den Tisch und schlang die Finger ineinander. »Aber die Welt nimmt ihn ernst. Sie nimmt ihn sehr ernst und ist nicht bereit, ihm zu vergeben. Die Welt wartet darauf, sich an ihm zu rächen. Es gibt geheiligte Riten und Konventionen, die niemand straflos mißachtet.«
    »Mr. Gilbert hat sie jahrelang mißachtet, oder nicht?« fragte ich. »Dürstet man auch nach seinem Blut? Ich glaube nicht.«
    Shaw sah mich an. »Mr. Gilberts Privatleben ist über jeden Tadel erhaben. Sollte das anders sein, dann ist Mr. Gilbert diskret. Das kann man von Oscar Wilde nicht behaupten.« Er erhob sich abrupt, als ärgere er sich darüber, zuviel gesagt zu haben. »Guten Tag, meine Herren.«
    »Shaw«, Holmes sah mit trägem Blick zu ihm auf. »Wo können wir Wilde finden?«
    »Soviel ich weiß, wohnt er dieser Tage im Avondale, in Piccadilly. Guten Tag«, sagte er noch einmal und nickte kurz einen koboldhaften Gruß, bevor er sich mit seinem kuriosen Tanzschritt entfernte.
    Sherlock Holmes drehte sich mir zu. »Kaffee, Watson?«
    Nach dem Lunch begaben wir uns zu Dunhill’s in der Regent Street, wo Mr. Fitzgerald, der den Detektiv gut kannte, das Zigarrenrudiment, das wir ihm vorlegten, untersuchte.
    »Erzähl’n sie mir nich’, Sie wissen nich’ weiter«, lachte der Schotte mit einem Zwinkern in seinen blauen Augen, als er die Zigarre an sich nahm.
    Holmes war nicht erheitert. »Ich kann dreiundzwanzig Arten Tabak alleine anhand ihrer Asche identifizieren«, erwiderte er in einem, wie mir schien, etwas gereizten Ton. »Nachdem Sie mir gesagt haben, was dies hier ist, werde ich eine vierundzwanzigste in mein Repertoire aufnehmen können.«
    »Ja, ja«, der brave Mann lachte weiter vor sich hin, während er sich über das Objekt beugte. »Also, sie kommt aus dem Ausland, wird aber von niemandem importiert, den ich kenn’«, erklärte er.
    »Soviel habe ich bereits deduziert.«
    »Haben Sie das in der Tat? Nun ja, es engt die Möglichkeiten ein.« Er hielt den Stummel hoch und roch daran. »Vom Geruch und vom Deckblatt her würd’ ich’s für indisch halten.« Er drehte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her, hielt ihn ans Ohr und lauschte dem Knistern, dann beäugte er ihn längsseits wie ein Gewehr. »Ein Stumpen. Haben Sie das viereckige Ende und den starken Anteil von Latakia-Tabak bemerkt? Die sind sehr beliebt bei den Jungens in der indischen Armee, aber die rauchen auch alles, was ihnen in die Hände fällt. Mir lägen sie zu schwer im Magen, aber ich hab’ mir sagen lassen, daß man Geschmack dran gewinnen kann.«
    »Sie sind in England nicht zu kaufen?«
    »Nein, Mr. Holmes, ich glaub’ nich’. Sie sind, wie gesagt, für Zivilisten zu stark, aber manche Jungens bringen sie sich kistenweise mit, weil sie wissen, daß sie hier nich’ zu haben sind.«
    »Mr. Fitzgerald, ich danke Ihnen.«
    »Gern geschehen Mr. Holmes. Hat es mit einem Fall zu tun?«
    »Kann sein, Mr. Fitzgerald, kann sein.«

KAPITEL FÜNF

    Der Herr des Lebens

    Holmes und ich hatten natürlich Karikaturen von Oscar Wilde gesehen. Mit den Jahren waren sein ausgefallener Haarschnitt, seine Korpulenz und seine fremdartige Kleidung uns – wie allen anderen – durch die zahllosen Federzeichnungen in allen möglichen Zeitungen vertraut geworden. Und wir wußten, obwohl wir sie nicht gesehen hatten, daß der brillante Ire der Autor zweier Komödien war, die zu gleicher Zeit in ausverkauften Häusern gespielt wurden. Sein neuestes Stück, Bunbury oder Die Bedeutung, ernst zu sein , hatte erst vor zwei Wochen seine Premiere gehabt und war von Kritik wie Publikum mit Begeisterung aufgenommen worden.
    Aber weder die Karikaturen noch die Artikel von oder über den Mann, selbst die Dramen nicht, (wären sie uns bekannt gewesen) hätten uns auch nur annähernd auf die lebende Verkörperung von Oscar Wilde vorbereiten können.
    Nach unserem Besuch bei Dunhill’s wanderten wir nach Piccadilly und erkundigten uns im Avondale nach dem Dramatiker.
    »Sie werden ihn im Salon finden«, ließ uns der Angestellte am Empfang mit mürrischer Miene wissen.
    »Gehe ich richtig in der Annahme, daß es sich um den Raum handelt, aus dem all dieser Lärm dringt?« fragte Holmes höflich. Der Mann grunzte, statt zu

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