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Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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berührt hatte. Shaw erbleichte, sein Bart zitterte, und er sprang auf die Füße.
    »Shakespeare?« Er rollte das Wort mit genüßlicher Verachtung auf der Zunge. »Shakespeare? Ein Scharlatan, der nicht den Verstand hatte, seine eigenen Handlungen zu erfinden, geschweige denn, sie auszuschmücken! Tolstoi hatte recht – Shakespeare ist nichts anderes als eine Verschwörung akademischer Köpfe des 19. Jahrhunderts. Ich frage Sie: ›Küssen Menschen‹ wirklich ›Königreiche hinweg‹? Halten sie nicht so lange und so zäh an der Macht fest, wie sie nur können? Antonius und Kleopatra – was für ein unsägliches romantisches Gewäsch! Phrasendrescherei! Humbug! Sie waren ein Paar zynischer Politiker, wie sie im Buche stehen, diese beiden!«
    »Aber die Poesie«, protestierte ich.
    »Poesie – Unfug!« Er wechselte wieder die Farbe, diesmal zu einer scharlachroten Tönung, während er, gelegentlich über die Bücher am Boden stolpernd, durchs Zimmer tanzte. »Die Leute sprechen keine Poesie, Doktor! Nur in Büchern – und in schlechten Stücken! Der Mann hatte einen glänzenden Geist«, gab er, etwas ruhiger werdend, zu. »Aber er hätte seinen Intellekt nicht an Theaterstücke verschwenden dürfen. Er hätte Essays schreiben sollen. Fürs Theater hatte er kein Talent.«
    Diese letzte Aussage war dermaßen verblüffend, daß ich glaube, Holmes und ich müssen ihn für einige Augenblicke einfach angestarrt haben – was er vorgab, nicht wahrzunehmen. Dann kam Holmes mit einem kurzen Lachen wieder zu sich.
    »Sicherlich sind Sie heute morgen ebensowenig hierhergekommen, um über Shakespeare zu streiten, wie um es mit den Übeln des Kapitalismus aufzunehmen«, sagte er und füllte seine Pfeife aus dem persischen Pantoffel auf dem Kaminsims, »obwohl ich versucht bin, auf den Widerspruch zwischen Ihren Ansichten über Neuverteilung von Eigentum und Ihr eigenes Verlangen nach einer Gehaltserhöhung näher einzugehen.«
    »Mit all diesem Gerede über Shakespeare«, erwiderte Shaw mit einem sauren Blick, »haben Sie mich vom Thema abgebracht. Was mein Gehalt angeht, so mögen Sie sich darüber mit Mr. Harris austauschen, wenn Sie glauben, daß Sie ihn ertragen können. Ich bin zu einem gänzlich anderen Zwecke hier.« Er machte eine Pause, ob des dramatischen Effekts willen oder einfach, um sich zu sammeln, konnte ich nicht sagen. »Es ist ein Mord geschehen.«
    Schweigen füllte den Raum. Holmes und ich tauschten instinktiv Blicke, während Shaw uns mit offensichtlicher Befriedigung beäugte.
    »Wer ist ermordet worden?« erkundigte Holmes sich ruhig und kreuzte, jetzt ganz Aufmerksamkeit, die Beine.
    »Ein Kritiker. Lesen Sie nicht die Theaterbesprechungen? Nun ja, dann ist es Ihnen entgangen. Jonathan McCarthy schreibt für den Morning Courant  – oder schrieb, sollte ich vielmehr sagen, denn er wird es nie mehr tun.«
    Holmes hob einen Stoß Zeitungen auf, der neben seinem Sessel lag. »Mein Interesse beschränkt sich im allgemeinen auf die Todesanzeigen«, bekannte er, »aber eine solche Nachricht kann ich nicht –«
    »Sie werden in den Zeitungen nichts finden – noch nicht«, unterbrach ihn Shaw. »Die ersten Nachrichten von der Tat zirkulierten diesen Morgen in der Redaktion der Review . Ich kam geradenwegs hierher, um Ihnen davon zu berichten.«
    Während dieser Mitteilung bemühte er sich, sein scherzhaftes Gebaren beizubehalten, als sei er persönlich von solch grausigen Neuigkeiten nicht betroffen. Aber unter dem Galgenhumor konnte ich echte Sorge spüren. Vielleicht beunruhigte ihn der Mord an seinem Kollegen in einer Weise, die er sich selbst nicht eingestehen wollte.
    »Sie kamen geradenwegs hierher«, echote Holmes und füllte mit gewandten Fingern seine Pfeife. »Mit welcher Absicht?«
    Der Ire blinzelte überrascht.
    »Das muß sich doch von selbst verstehen. Ich möchte, daß Sie die Angelegenheit gründlich untersuchen.«
    »Ist sie denn so kompliziert? Ist die Polizei nicht gut genug?«
    »Kommen Sie. Wir beide kennen die Polizei. Ich habe weder ein Bedürfnis nach ihren ungeschickten Methoden noch nach einer offiziellen Beschönigung der Tatsachen. Ich will eine ehrliche, unparteiische und vollständige Überprüfung der Sache. Ich lese nach wie vor Dr. Watsons Niederschriften Ihrer Aktivitäten im Strand , und ich möchte Sie gerne selbst in Aktion sehen. Reizt die Herausforderung Sie nicht? Der Mann wurde erstochen«, fügte er als Ansporn hinzu.
    Holmes warf einen sehnsüchtigen

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