Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)
Zaun gekrönt wurde. Alles wirkte sehr verwunschen. Durch ein ebenfalls verrostetes Tor fuhren wir die Auffahrt hinauf und stiegen aus.
Als Mrs. Thorndyke den Klingelzug am Portal betätigte, öffnete uns eine junge Frau von unübersehbarer asiatischer Abstammung. »Das ist Ai«, stellte unsere Klientin sie vor.
Ai war nicht wie ein Hausmädchen gekleidet, sondern trug ein normales Kleid. Ihre pechschwarzen Haare waren in der Mitte gescheitelt und formten im Nacken eine Art Dutt.
Sie bat uns in flüssigem Englisch mit starkem chinesischem Akzent in die Hall.
Die Wände dieser Hall waren behängt mit wundervollen chinesischen Theater-Masken. Jede einzelne hatte sicherlich einen Wert von einigen hundert, wenn nicht gar tausend Pfund. Vor einer besonders prunkvollen Maske blieb Holmes bewundernd stehen. Ich war etwas entsetzt, denn unhöflicherweise zückte er seine Lupe und begutachtete sie eingehend.
»Eine wunderbare Arbeit!«, rief er begeistert aus. »Kantoner Schule, wie ich sehe! Achtzehntes Jahrhundert vermutlich. Meister Lung Pao!«
Die Antwort kam sehr spontan und nachdrücklich. »Ich fürchte, Sir, Sie irren, Sir. Das ist Shanghaier Schule und siebzehntes Jahrhundert. Eine Arbeit des unsterblichen Meisters Chang.«
Ich wunderte mich, wie leicht Holmes den zurechtweisenden Ton überging. »Merkwürdig ... Ich hätte geschworen ...«, murmelte er, steckte seine Lupe wieder ein und bat dann, zunächst das Haus in Augenschein nehmen zu dürfen. Danach wolle er mit Roger und seiner Frau sprechen.
Wie Mrs. Thorndyke beschrieben hatte, war das Haus in einen West-und einen Ostflügel unterteilt. Ein langer Flur verband die beiden Flügel. Genau in der Mitte dieses Flurs lag ein wuchtiges Treppenhaus mit einer steinernen Treppe. Ebenerdig befanden sich Küche, Vorratsräume und verschiedene Kammern, darüber lag der Wohntrakt und über dem Treppenhaus, in einer Art Gaube, befanden sich die Räume, die Butler Shipley bewohnt hatte. Man gelangte über eine schmale, steile, seitlich angelegte Gesindetreppe zu ihnen hinauf.
Shipleys Räume schienen tatsächlich unberührt, denn eine dicke Staubschicht bedeckte den Boden. Fußspuren wären sogar mir sofort aufgefallen.
»Aber wir suchen ja auch ein Gespenst«, scherzte Holmes jovial. »Meines Wissens hinterlassen Gespenster keine Fußabdrücke.«
Nach der Besichtigung des Hauses begaben wir uns in den Park. Dort gab es, neben einem Blumen-und einem winzigen Nutzgarten für den Bedarf der Köchin, einen kleinen Schuppen mit Werkzeugen und Gerätschaften aller Art. Ordentlich an der Wand aufgereiht hingen Sensen, Rechen, Harken, Astsägen und Ähnliches. Eine Schubkarre stand dort und Behältnisse für Grünschnitt.
Wir besichtigten auch das Grab des Hundes Vinc. Es lag etwas erhöht neben einer Bank unter dem Ginkgo-Baum, und wer darauf saß, hatte einen angenehmen Ausblick auf Henstiffle Bow Hall und den großen Teich neben dem Haus.
Dem treuen Vinc , stand auf einem selbst gezimmerten Holzkreuz, darunter waren die Lebensdaten zu lesen. Acht Jahre alt war das Tier geworden.
»Ist es nicht wunderschön?«, fragte Mrs. Thorndyke. »Durchaus eine Entschädigung dafür, dass ich wahrscheinlich nie mehr den Ausblick auf meinen geliebten Yangtsekiang werde genießen können. Wie gerne würde ich hier mit meinem Eb sitzen! Aber nichts bleibt eben, wie es einmal war. Ich will Sie allerdings nicht mit den Seelenergüssen einer alten Frau langweilen. Möchten Sie nun zu Roger?«
»Gerne!«
»Dann hoffe ich, dass er noch nicht vollständig betrunken ist und Ihnen anständig Auskunft gibt. Ich schwöre Ihnen, wir haben alles versucht, einen anständigen Menschen aus ihm zu machen. Er wollte einfach nicht! Verzeihen Sie übrigens, wenn ich Sie nicht begleite.«
»Dann darf ich Ihnen Ihren Proviant übergeben. Es ist auch die gewünschte Schokolade dabei.«
»Ich danke Ihnen! Bis später! So Gott will!«
»Bis später!«
Roger empfing uns in seinen Räumen. Er war ein vierschrötiger Mann in einem Tweedanzug und mit einem roten Gesicht, das von übermäßigem Alkoholkonsum erzählte. Wir stellten uns vor. Thorndyke quittierte das mit gehässigem Lachen. Sein von Alkohol geschwängerter Atem warf mich fast um.
»Sie sind also der berühmte Detektiv, von dem man so viel hört! Zweifelsohne hat Ihnen meine Tante – früher wollte sie immer, dass ich Mom zu ihr sage, jetzt nicht mehr – schon von dem Unfug mit diesem Gespenst erzählt.«
»Ja, das hat sie! Haben Sie
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