Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)
Thorndykes Machenschaften hineinziehen? War es die Liebe, die Sie im Namen tragen?«
»Was verstehen Sie von der Liebe einer Frau, Mr. Holmes? Roger ist verheiratet, das stimmt. Aber mit einer Frau, der er gleichgültig ist. Mit einer ehemaligen Hure aus einem Blauen Haus. Sie hat nur mit ihren Schuhen bekleidet vor den Gästen getanzt und gesungen, und hat sie auch später auf dem Zimmer unterhalten. Roger war einer ihrer Gäste. Immer wieder. Dann hat er sie von diesem Herrn Su beim Pokerspiel gewonnen. Lian war der Einsatz und Su hat verloren. Roger hat sie geheiratet und es bitter bereut, als wir uns kennen lernten. Er verschaffte mir eine Dienststellung bei der Großen Tante, damit wir nicht getrennt wurden. Aber der Mordplan war ganz allein seine Idee! Auch die Kleine Tante, also Ann, hat er vergiftet!«
»Glauben Sie ihr nicht, Mr. Holmes! Sie wissen doch, wie diese Chinesinnen sind«, verteidigte sich Thorndyke. »Die lügen, wenn sie den Mund aufmachen. Sie und niemand sonst hat Ann vergiftet. Sie hat vorgeschlagen, auch meine Tante umzubringen und irgendwohin zu ziehen, wo uns kein Chinese der Welt finden wird. Sie sollten sie festnehmen!«
»Festgenommen werden allenfalls Sie. In wenigen Minuten wird Inspektor Lestrade mit seinen Leuten hier eintreffen. Ich habe ihn heute Nachmittag telegrafisch hierher bestellt. Er dürfe einen Mörder verhaften.«
»Was!«, rief Thorndyke. »Die Polizei kommt?«
»Welche Frage. Natürlich. Ich werde Sie Inspektor Lestrade übergeben und mich freuen, wenn Sie für viele Jahre im Gefängnis verschwinden. Doch falls man bei der Exhumierung und Obduzierung der sterblichen Überreste von Mrs. Thorndykes Schwester Ann auf ein Gift stoßen sollte, wird Ihnen der Gute Mann von London sicherlich bald einen Strick um den Hals legen.«
»Ich fürchte, Mr. Holmes, dieses Vergnügen wird ihm nicht zuteil werden!«
Nun überschlugen sich die Ereignisse. Mehrere Dinge geschahen gleichzeitig. Thorndyke zog aus der Tasche ein Terzerol, setzte es sich an die Schläfe und drückte ab, ehe jemand von uns einschreiten konnte. Sein schwerer Körper schlug auf den Dielenboden des Schlafzimmers.
»Um Himmels Willen!« Mrs. Thorndyke, die alles stumm mit vor Entsetzen geweiteten Augen angesehen hatte, schlug die Hand vor den Mund. Ich kniete mich sofort neben Thorndyke. Er atmete zwar noch, aber der Tod kam mit großen Schritten. Ich konnte nur noch mein Taschentuch auf die Einschusswunde drücken, um das Blut aufzufangen, das rhythmisch, erst stark, dann rasch ersterbend, daraus hervor schoss. Verzweifelt über meine Ohnmacht schüttelte ich den Kopf.
»Roger!« Das war Ai.
»Watson!« Das war Holmes! »Nicht!«
Ich blickte auf. Ai hatte den Pokal an die Lippen gesetzt und trank mit großen Schlucken daraus. Holmes versuchte, sie zurückzuhalten, aber es war schon zu spät. Er stand zu weit weg von ihr. Ai ließ das Gefäß fallen und rannte durch die offene Tür in den dunklen Flur hinaus. Ihre hallenden Schritte entfernten sich rasch.
»Lassen wir sie«, meinte Holmes. »Es gibt keine Hilfe mehr. Sie muss sich wie ihr Geliebter vor einem höheren Richter verantworten.«
Draußen ertönte der Schrei einer Frau. Mrs. Thorndyke trat zur Tür. Dieser Schrei war nicht von Ai gekommen.
»Lian! Mr. Holmes, Dr. Watson, rasch! Kommen Sie, sie ist gestürzt!« Mrs. Thorndyke hielt Lian in den Armen. Gemeinsam halfen wir der Chinesin auf die Beine. Offenbar hatte sie heimlich lauschen wollen. Nun hatte Ai sie einfach umgerannt. Wir brachten sie in Mrs. Thorndykes Wohnzimmer, denn im Schlafzimmer lag ja noch die Leiche ihres Mannes.
In diesem Moment läutete es unten an der Pforte Sturm. Lestrade und McGregor, ein Constable von der örtlichen Polizei, begehrten heftig Einlass. Auch Jennings und die anderen Bediensteten fanden sich ein, wurden aber mit Ausnahme von Jennings und dem Mädchen wieder fortgeschickt mit der Maßgabe, sich für Befragungen bereit zu halten. Das Mädchen wurde beauftragt wieder anzuheizen. Jennings musste helfen, die Tür zu Ais Schlafzimmer aufzubrechen. Sie hatte sich eingeschlossen und einen Stuhl von innen gegen die Klinke gestellt. Bis wir hineingelangten, hatte sie bereits das Bewusstsein verloren. Trotz meiner Bemühungen starb sie wenig später.
Lestrade war höchst ungehalten und schimpfte, während Holmes ungerührt den Schrank und die Truhe durchsuchte. »Sie haben mir einen Mörder versprochen, Mr. Holmes«, beschwerte sich der Inspektor. »Und was
Weitere Kostenlose Bücher