Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)

Greenhorns wie euch beiden.«
    »Sind Sie verletzt, Mr. Holmes?«, wollte Lestrade wissen. Mein Freund schüttelte stumm und bleich den Kopf.
    »Ich fürchte allerdings, seine schmucke Kopfbedeckung hat die Auseinandersetzung nicht überlebt.«
    Auf meine Worte hin nahm Holmes den Stetson ab. Offenbar hatte er den Abschuss des Pfeils ebenso wenig bemerkt wie ich. Er zog ihn heraus und übergab ihn mir. Noch immer unter dem Eindruck des Überraschungsangriffs stehend, setzte er zu einer Erklärung an. »Ich ... ich war so sicher, dass sein Schussapparat in seinen Gehstock eingebaut ist. Es passte alles. Sogar der Schmutzring um die Todeswunde! Gütiger Himmel, was war ich vernagelt!«
    »Ich schwöre Ihnen, Holmes, wenn er Sie mit dem Pfeil getroffen hätte, er wäre hier nicht lebend herausgekommen.«
    »Und Sie, teurer Freund, wären wegen eines seiner Begriffsstutzigkeit zum Opfer gefallenen Detektivs zum Mörder geworden!«
    »Pah!«, schaltete sich Buffalo Bill ein. »Wir hätten alle bezeugt, dass es Notwehr war. Stimmt's, Arizona?«
    Major Burke machte eine unbestimmte Kopfbewegung, aus der eine Menge Skepsis sprach. Holmes fasste sich, dann küsste er Annie Oakley galant die Hand. Eine Geste, die ich noch nie bei ihm gesehen hatte.
    »Ich stehe tief in Ihrer Schuld, Miss Oakley 27 . Ihr Ruf als Meisterschützin besteht völlig zu recht. Sie haben den Mann äußerst elegant und schmerzlos außer Gefecht gesetzt. Das war eine außerordentliche Leistung!«
    »Ich bin eben eine Frau, Mr. Holmes, und deshalb listig. Männer wie Mr. Cody wollen immer alle Probleme mit Gewalt lösen. Wir Frauen machen uns lieber die Schwächen des Gegners zunutze. Denken Sie an meine Worte! Aber ich freue mich, dass ich dem großen Detektiv Sherlock Holmes das Leben retten durfte. Das werde ich noch als tatterige alte Großmutter meinen Enkelkindern erzählen!«
    »Ich fürchte, ich habe es nicht anders verdient. Ich danke Ihnen nochmals!«
    »Auch ich«, ergänzte ich mit einer Verbeugung, »verneige mich vor Ihrem scharfen Auge und Ihrer sicheren Hand, Miss Oakley.«
    »Immer gerne!« Annie Oakley vollführte mit gespielt naivem, kokettem Lächeln, ihren Rock mit beiden Händen ausbreitend, einen komisch übertriebenen Knicks, drehte sich um und ging hinaus. Holmes und ich sahen ihr nach, bis sie verschwunden war.
    »Mmm«, räusperte sich Lestrade.
    »Ja?«, antworteten Holmes und ich, aus unseren Gedanken erwachend, in perfekter Synchronisation.
    »Mr. Holmes, meine Leute bewachen immer noch acht Metallzylinder unter der Ehrentribüne. Was machen wir jetzt damit?«
    »Die müssen abtransportiert werden. Aber vorsichtig! Die Männer dürfen keinesfalls an den Stellschrauben drehen! Ich habe ja gesagt, der Inhalt ist hoch giftig! Arsenwasserstoff!«
    Ohne etwas zu sagen, hielt ein Polizist ihm den Schussapparat hin. Da Holmes ihn nicht nahm, ergriff ich ihn. Es war ein einfaches Metallrohr mit einer Art Zangengriff am Ende. Als ich ihn betätigte, klickte es. Das musste der Auslöser sein! Holmes dozierte währenddessen weiter.
    »Der Fall dürfte sich wie folgt darstellen: Woronin plante ein Attentat auf unsere Königin und den gesamten europäischen Hochadel. Dazu mischte er sich als Reiter unter die Kosaken. Heimlich ließ er acht Zylinder mit Arsenwasserstoff hier im Zelt verstecken, was bei dem allgemeinen hektischen Treiben wohl niemandem auffiel. Er hätte lediglich zum passenden Zeitpunkt die Ventile der Gaszylinder aufdrehen müssen. Das Gas wäre ausgeströmt und hätte binnen weniger Minuten alle Zuschauer in der Ehrenloge vergiftet. Viele, wenn nicht alle, wären gestorben.«
    »In meiner Show?«, dröhnte Buffalo Bill. »Ich glaub' es nicht!«
    »Nun, wir sind ja gerade noch rechtzeitig eingeschritten, wenngleich ich mir nicht verzeihen kann, mich bei der Frage des Schussapparates geirrt zu haben. Ein beinahe tödlicher Irrtum! Leider wollte ich erst völlig sicher sein in Bezug auf die Person des Täters.«
    »Und nun?« Aus Buffalo Bills Augen sprach noch immer die pure Mordlust.
    »Welche Frage! Woronin wird unter Anklage gestellt. Wegen zweifachen Mordes, mindestens eines Mordversuchs und wahrscheinlich auch wegen Hochverrats. Er wird unter den Galgen treten müssen. Schließlich brachte er Jake Brannagan um, weil der seinen Decknamen und seine wahre Identität herausgefunden hatte. Um ein Haar wäre Brannagans Tod als Unfall durchgegangen. Man hätte den völlig harmlosen Goliath dafür verantwortlich gemacht.