Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)
hatte zunächst eine Weile mit Annie Oakley und ihrem Mann geplaudert. Genau genommen kam Letzterer gar nicht zu Wort, weil Annie in einem fort erzählte. Erst als der Verteidigungsminister hinzukam, konnte ich mich entschuldigen. Was Sherlock Holmes gerade zu Buffalo Bill gesagt hatte, hörte ich nicht. Die Antwort aber werde ich bis zu meinem letzten Atemzug nicht vergessen. Es war ein Satz, aus welchem die ganze Weisheit des Wilden Westens sprach. »Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd.«
SHERLOCK HOLMES UND DAS INDISCHE KRAUT
Niemand war verschlossener als mein Freund Sherlock Holmes, wenn es um seine eigene Person ging. Lange Zeit wusste ich fast nichts über ihn, wusste nicht, wer seine Eltern waren, woher er stammte und was er getan hatte, bevor wir Hausgenossen wurden. Gerade, dass ich seinen Bruder Mycroft kennenlernen durfte, jenen schwergewichtigen Mann, der einen so hohen Posten in der Regierung innehatte, dass er nach den Worten meines Freundes manchmal die Regierung selbst war. Wie Holmes erzählte, war er so wichtig, dass er Schriftstücke an Regierungsmitglieder nicht mit seinem Namen unterzeichnete, sondern mit einem M in grüner Tinte.
Mein erster und einziger Versuch, mehr über Sherlock Holmes zu erfahren, als dieser preiszugeben bereit war, war ein glatter Fehlschlag. Dennoch entbehren die Umstände, die zu diesem Versuch führten, nicht jenes bizarren Charakters, den Holmes so sehr schätzte. Die Gelegenheit ergab sich, als Holmes mit meiner bescheidenen Assistenz den Fall der Mrs. O'Shaugnessey gelöst hatte, von dem ich sicherlich bei passender Gelegenheit einmal ausführlicher berichten werde. Mrs. O'Shaugnessey war hinter ein düsteres Lebensgeheimnis ihres Gatten gekommen, eines berühmten Gelehrten, mit dem sie viele Jahre in Indien verbracht hatte. Nur mit viel Mühe hatten wir die unglückliche Frau des Gattenmordes überführen können.
Als mir Holmes in unserem gemütlichen Wohnzimmer bei einem Glas Punsch den Fall darlegte, stellte ich mich bewusst dumm. »Aber wie in aller Welt konnte sie wissen, dass er Bigamist war?«, fragte ich.
»Aber Watson«, belehrte mich Holmes. »Das liegt doch auf der Hand. Er hat es ihr selbst gesagt. Nicht freiwillig, aber er hat es gesagt.«
»Wie konnte sie ihn dazu zwingen?«
»O'Shaugnessey war ein Kenner der indischen Kultur. Seine Frau nicht minder. Sie hat seine Karriere von Anfang an treu begleitet, seine Fundstücke geordnet und katalogisiert, seine Veröffentlichungen nicht nur ins Reine geschrieben, sondern auch selbstständig redigiert. Wahrscheinlich verstand sie mehr vom Fach als er selber. Ich habe doch selbst den Versuch gemacht und einen kapitalen Fehler in meine improvisierte Übersetzung des Sanskrittextes eingebaut, der aufgeschlagen auf dem Schreibtisch lag. Sie hat mich sofort korrigiert, ohne nachzudenken. Sie liest, schreibt und spricht Sanskrit, wie du und ich Englisch schreiben und sprechen. Mrs. O'Shaugnessey ist hochgebildet. Bewundernswürdig in vieler Hinsicht. Es ist ein Jammer, dass Frauen wie ihr die Hochschulen nicht offen stehen. Zu welchen Glanzleistungen wäre die britische Wissenschaft dann erst fähig!«
»Ich bitte Sie, Holmes! Eine Mörderin!«
»Sie hat sich selbst gerichtet. Geradezu mannhaft. Sie setzte ebenso konsequent ihrem Leben ein Ende, wie sie dem ihres Mannes ein Ende setzte. Beschreiben Sie mir sein Arbeitszimmer.«
»Ein großer Esstisch voller Bücher. Bücherregale und Manuskriptschränke an allen Wänden. Indische Kunstwerke an den freien Stellen, Waffen, Wandbehänge. Ein Schreibtisch, ein wenig unaufgeräumt. Ein von Säure zerfressener Tisch, fast wie unserer hier.«
»Sehr schön, mein Freund, sehr schön. Wie immer haben Sie das Wesentliche übersehen. Übersehen, weil es so offensichtlich ist.«
»Was habe ich denn übersehen?«, fragte ich beleidigt.
»Die vielen Pfeifen!« Holmes frohlockte. »Pfeifen sind für Tabakfreunde wie Sie und mich nichts Ungewöhnliches. Wir rauchen sie täglich und nehmen sie allenfalls dann zur Kenntnis, wenn sie kaputtgehen oder plötzlich nicht mehr schmecken.«
»Ja, natürlich!« Ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Pfeifen und Tabatieren standen im ganzen Zimmer herum, auf dem Schreibtisch, in den Bücherregalen, überall.«
»Eben, Pfeifen und Tabatieren. Ich erinnere daran, dass ich mich einmal sehr intensiv mit Tabaken und ihren Aschen befasst habe. In zwei hölzernen Dosen war jedoch kein Tabak, obwohl der
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