Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)
ein!«
»Ich beschwöre Sie! Als Mutter! Als Mutter, die um das Wohl, ja um das Lebensglück ihres Sohnes besorgt ist. Ich kann doch nicht zur Polizei gehen. Wie soll ich erklären, dass ein junges Mädchen bei zwei unverheirateten Herren gewohnt hat? Selbst wenn sie nur als Schülerin und als nichts sonst dort Logis genommen hatte. Und Mrs. Pearce darüber wachte, dass alles zuging wie es sich gehört.«
»Könnte es denn nicht sein, dass Eliza einfach wieder nach Hause zurückgekehrt ist? Hat sie keine Eltern?«
»Das müssen Sie herausfinden, Mr. Holmes. Sie stammt aus Kreisen, in denen eine Dame von Stand nicht verkehren kann. Ihr Vater ist ...« Ihr Gesicht nahm einen Ausdruck an, als habe sie etwas Schmutziges berührt »Ihr Vater ist Müllkutscher. Stellen Sie sich vor! Aber Henry liebt Eliza doch! Und trotz allem mag ich ihn als seine Mutter nicht so leiden sehen.«
»Gut, gut, Mrs. Higgins.« Holmes lenkte ein. An dem Leuchten in seinen Augen erkannte ich, dass er sich für den Fall zu interessieren begann. »Ich übernehme Ihren Fall. Aber zunächst brauche ich noch Fakten. Wie heißt Elizas Vater? Der ... Müllkutscher?«
»Alfred. Alfred Doolittle. Eliza erzählte, er habe kürzlich wieder geheiratet. Seine langjährige ... Mätresse.«
»Hat Eliza außer ihrem Vater noch weitere Verwandte oder Bekannte?«
»Sie hatte einen Verehrer, den jungen Eynsford-Hill. Ebenfalls Alfred, aber kein Vergleich! Seine Mutter Clara war im Internat meine beste Freundin, obwohl sie viel jünger ist als ich. Alle nennen ihn Freddy.«
»Freddy Eynsford-Hill ... Haben Sie seine Adresse?«
Sie nannte sie. Es war eine vornehme Adresse. Eine sehr vornehme. »Henry hat sich sehr über den Jungen geärgert. Er schäumte regelrecht vor Eifersucht. Dabei ... er hätte viel besser zu dem armen Kind gepasst als mein Sohn. Schon vom Alter her. Äußerlich ähnelt er Ihnen sehr, Mr. Holmes. Er könnte fast Ihr jüngerer Bruder sein. Freddy ist wohlerzogen, freundlich, gebildet und sehr zurückhaltend. Und er kann im Gegensatz zu Henry zuhören. Ich wollte, ich hätte einen Sohn wie ihn.«
»Und sonst?«
Mrs. Higgins beobachtete missbilligend, wie mein Freund sich Namen und Adresse mit einem Bleistift auf die Manschette notierte. »Sonst?« Mrs. Higgins dachte nach und schüttelte dann den Kopf. »Mir ist niemand sonst bekannt. Henry ist einfach unfähig zur Pflege von Bekanntschaften, von Freundschaften ganz zu schweigen. Er ist der unbeliebteste Mensch an seiner Fakultät. Sein einziger Freund ist dieser Paläobiologe, dieser ungehobelte Professor Challenger.«
»Der uns hinreichend bekannt ist!« Abschließend bat mein Freund noch um eine genaue Beschreibung Elizas.
»Sie ist ein typisch englisches Mädchen mit rotem Haar, grünen Augen und einer blassen Haut voller Sommersprossen. Kleiner ist sie als ich und etwas kräftiger, und sie hat eine hübsche Singstimme, ich habe es selbst gehört, als ich einmal bei meinem Sohn ... Sie sang in der Küche so ein sentimentales Dienstmädchenlied. Nur ein Zimmerchen irgendwo, mit 'nem Sofa drin sowieso ... wäre det nicht wunderschön! So ähnlich. Damals hatte sie noch diesen fürchterlichen Unterschichtenakzent. Bei unserer letzten Begegnung sprach sie ... genau wie Sie und ich!«
»Ah, ja!« Nachdem sich Sherlock Holmes mit Mrs. Higgins über das Honorar geeinigt hatte, verließ sie uns. Beim Abschied lächelte sie mir lange zu. Ich begleitete sie hinaus und als ich in unser Wohnzimmer zurückkehrte, blickte ich wohl noch ein wenig versonnen vor mich hin.
»Watson!«, rief Holmes. »Aufwachen! Die Dame ist Witwe und zu alt für Sie.«
»Holmes! Wie können Sie? Sie erinnert mich lediglich ... Mrs. Higgins ähnelt meiner seligen Mutter so sehr.«
»Sie scheinen ein ähnliches Muttersöhnchen zu sein wie unser Freund Doyle!«
»Erlauben Sie mal!«
»Gerne!« Holmes lächelte in sich hinein, während er eine Pfeife zu stopfen begann. Im Grunde verachtete er Familienbande von ganzem Herzen. Er sehe das gewissermaßen dialektisch, erklärte er mir einmal. »Wie der deutsche Philosoph Hegel. Die Frucht muss die Blüte überwinden, der Schüler den Lehrer und das Kind seine Eltern.«
»Was Sie nicht sagen!«
»Es ist meine feste Überzeugung!« Mit einem Stückchen glühender Kohle entzündete Holmes seine Pfeife. »Morgen sollten wir dann den beiden Alfreds, nämlich Mr. Doolittle, Esquire, und Master Eynsford-Hill unsere Aufwartung machen. Vielleicht kann einer von ihnen uns
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