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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein fatales Erbe
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mal eine erfolgreiche Firma, eine große Schlosserwerkstatt, aber er
hat sein ganzes Geld in die ukrainische Finanzkooperative gesteckt und während
der Krise 1982 alles verloren. Seitdem hat er
nichts mehr auf die Reihe gekriegt, weder sein Geschäft noch sich selbst.
Deshalb ist er von der Schlosserei in eine Wellblechhütte gezogen.«
    Der General lacht. »Er lebte in Villa Jardin, in Lanüs,
direkt außerhalb der Hauptstadt. Lassen Sie sich von dem Namen nicht täuschen.
Es ist gar kein Garten, sondern eine villa miseria - ein
Elendsviertel. Leerstehende Fabriken, schmutzige Flüsse, Slums. Es gibt
Busverbindungen mit der Hauptstadt, aber ich würde Ihnen nicht empfehlen,
dorthin zu gehen, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt. Ich könnte Sie
jedenfalls nicht begleiten. Die Bewohner dort sind angustiados
- voller Angst und nicht sehr ...« Er sucht nach dem
richtigen Wort. »... nicht sehr kooperativ. Oh, als Sie mich anriefen,
Kateryna, erwähnten Sie, dass Polubotok entfernte Verwandte in England besaß
und Geld geerbt hat. Wie viel ist es denn, wenn ich fragen darf?« Kate will es
gerade erklären, da wirft Andrij rasch etwas auf Ukrainisch ein und übersetzt
es für Kate. »Etwa 100000 Pfund.«
    Pablo lächelt. »Wenn ihn überhaupt noch irgendetwas
glücklich machen kann, dann sicherlich das. Wenn Sie mit ihm reden, könnten
Sie bitte erwähnen, dass wir geholfen haben, ihn zu finden? Wir sind komplett
von Spenden abhängig, verstehen Sie. Unser Problem hier ist, dass es zu viele
getrennte ukrainische Organisationen gibt - verschiedene Parteien, vielerlei
Religionen. Wir müssen eine starke, vereinte Gemeinschaft bilden statt zwei
Dutzend kleiner Verbände. Daran arbeite ich ... Oh, wie schnell die Zeit
vergeht! Wenn Sie mich bitte entschuldigen - ich muss jetzt gehen. Ich habe in
einer halben Stunde ein Treffen in der katholischen Kirche. Ich hoffe, wir
sehen uns noch mal, bevor Sie abreisen.« Er steht abrupt auf, entblößt sein
gelbes Gebiss, zieht seinen Blazer gerade und marschiert aus der Lobby hinaus.
    Kate ist froh, dass er geht: Sie braucht jetzt unbedingt
eine gute warme Tasse Kaffee, um den Jetlag abzuschütteln. Aber Andrij schwebt
schon wie ein Habicht über der Karte. »Ich hab den Ort und die Busroute
gefunden. Laut Auskunft im Führer kostet die Busfahrt nur 70 Centavo.«
    Als er Kate ansieht, bemerkt sie zum ersten Mal, dass
seine grüne Iris winzige braune Pünktchen hat, als hätten sich die Sommersprossen
von der Nase bis in die Augen ausgebreitet. Sie gibt sich geschlagen und setzt
ihre dunkle Brille auf, um müde Augen und deplatzierte Gefühle zu verbergen.
    Im Zentrum von Villa Jardin verlassen sie den Bus. Warum
war Pablo so negativ? Offenbar ist er noch nie hier gewesen. Die Backsteinhäuser
mit Wellblechdächern sind in extravaganten Frühlingsfarben getüncht. Die
Teenager, die um die Videothek herumlungern, sehen aus wie Jugendliche überall
auf der Welt: extra schlampig gekämmt, aggressive Posen. Der Besitzer des Obst-
und Gemüsestands hat sich offenbar von Verkehrsampeln inspirieren lassen, denn
links liegen Tomaten und rote Äpfel, rechts Avocados und in der Mitte Orangen
und Bananen. Überbordende Kisten, hoch aufgetürmte Haufen. Ein Pappschild Ray
castanas informiert Passanten, dass man hier auch Kastanien kaufen
kann. Aber, denkt Kate, vermutlich werden sie nicht ausgelegt, weil so ein
dunkler, verschrumpelter Haufen die Ampelfarbenharmonie empfindlich stören
würde.
    Auf der Bank in der Nähe der Bushaltestelle spielen ein
paar alte Männer mit karierten Kappen Dame. Sie nehmen das Spiel sehr ernst,
starren konzentriert aufs Brett, reiben sich vor jedem Zug mit knorriger Hand
das Kinn.
    Als Andrij sie nach der Richtung fragt, starren die
Spieler das junge Paar so mürrisch an, als hätte man sie aufgefordert, die Militärgeheimnisse
ihres Landes preiszugeben. Einer von ihnen hebt die Hand, in der er einen
schwarzen Damestein hält, winkt nach links, führt den Stein triumphierend übers
Spielbrett und setzt ihn auf ein Feld. Was für eine atemberaubend ökonomische
Geste, denkt Kate bewundernd.
    Hinter Andrij überquert sie die Straße. Sie tauchen in
eine Seitengasse ein. Hier sieht es aus, als hätte jemand die Sonne abgeschaltet.
Der schäbige, enge Durchgang endet an einer kahlen Wand mit einer Abzweigung
nach rechts. Sie gelangen in die nächste trostlose Gasse und wieder in die
nächste.
    »Andrij, hier finden wir nichts und niemanden. Und vor
allem: Wie

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