Shevchenko, A.K.
plaudert mit dem Fahrer auf Spanisch. »Er sagt, das
Hotel sei ganz in der Nähe der U-Bahn-Station an der Plaza San Martin - das ist
die Linie C. Wir sind schon fast da, kriechen aber durch die circulacion
- den Verkehr.« Er klingt mitfühlend, tröstend - sieht sie
so erschöpft aus?
»Da kann man wohl von großer Nähe sprechen.« Kate meint
nicht die Entfernung zum Hauptplatz, sondern Andrij und seine kubanische
Freundin. »Sie sprechen ziemlich fließend Spanisch.«
Er runzelt die Stirn. »Nähe. Das war einmal.« Ende des
Gesprächs - kurz und bündig, wie immer.
Umso erleichterter ist Kate, als sie endlich das
uniformierte, marmorierte Hotel Marriott mit seiner oasenhaften, künstlich
gekühlten Lobby erreicht haben. Noch zwei Stunden bis zur Verabredung.
Duschen, hinlegen, Augen zu, traumlos. Zurück zum Lift, zur routinierten
Höflichkeit des Portiers. Das Hotel ist viel vornehmer, als sie erwartet hatte.
In einem Punkt hat Carol recht: Da Kate dieses Hotel so
günstig gebucht hat, muss Logistik wirklich ihre Stärke sein!
Sie erkennt ihn sofort, obwohl sie nur telefoniert haben -
oder versucht haben, zu telefonieren, denn sein Englisch befand sich in einem
rudimentären Stadium. Sie hatte ihm spanische Faxe geschickt - verfasst und
übersetzt von ihrer Abteilungssekretärin Sandra, die genau zum richtigen
Zeitpunkt ein paar Abendkurse besucht hatte. Dieses Mädchen würde es noch weit
bringen. Pablo Petrischin, der Chef der Vereinigung der Ukrainer in Argentinien,
durchmisst die Hotellobby mit den akkuraten Schritten eines pensionierten
Generals. Sein dünnes graues Haar ist von einer Seite über den Scheitel gekämmt
- ein vergeblicher Versuch, die Glatze zu verdecken -, und der gepflegte
Schnurrbart wirkt ebenso buschig wie die Brauen. Trotz der Hitze trägt er einen
marineblauen Blazer mit glänzenden Messingknöpfen. Er lächelt Kate mit gelben
Raucherzähnen an und zeigt auf die ramponierten Ledersessel der Lobby. »Hier
ist es kühler und angenehmer als in meinem Büro«, erklärt Pablo. Kate erfährt,
dass sein Name die argentinische Version des ukrainischen »Pawlo« sei. Sie verständigen
sich mit Andrijs Hilfe, der die schmerzliche Erfahrung machen muss, dass auch
Pablo-Pawlos Ukrainisch nicht leicht zu verstehen ist.
»Kateryna«, Petryschin spricht ihren Namen ukrainisch aus,
»das, worum Sie mich gebeten haben, fällt mir nicht leicht. Gar nicht leicht.
Doch da wir Ukrainer im Ausland einander helfen soll ten ...«
Er hält inne, sieht Kate an, wartet auf Anerkennung. Sie lächelt ihn dankbar
an, ohne ihn daran zu erinnern, wie viel er sich seine Hilfe kosten lässt.
»Natürlich ist unsere ukrainische Diaspora nicht so groß
wie die in den Vereinigten Staaten, wo es zwei Millionen Ukrainer gibt, oder
wie in Kanada mit einer Million. Aber das heißt auch, dass wir viel weniger
Unterstützung, viel weniger finanzielle Mittel haben als die Diasporas dort.«
Wieder sieht er Kate an und fährt fort: »In Argentinien gibt es heutzutage
etwa zweihundertdreißigtausend Ukrainer, von denen fast die Hälfte in Buenos
Aires lebt. Ich musste erst unsere Register durchsehen und dann die Liste der
Immigranten überprüfen, die an einer bestimmten Aufnahmestelle im Bezirk
Retiro eintrafen. Ja, ich habe ihn gefunden, den Mann, den Sie suchen. Er kam 1897 in
Argentinien an.« Der General betont jedes Wort, als erteile er Befehle. »Er
war einer der Gründer der ukrainischen Siedlung Apostoles. Übrigens eine recht
interessante Siedlung. Den sechzigtausend Einwohnern ist es gelungen, Sprache
und Tradition bis in die dritte Generation zu bewahren. Die haben alljährlich
ein yerba mafe -Festival,
jetzt, um diese Zeit. Werden Sie Zeit für einen Besuch finden ? Ziemlich weit
von hier, aber ...«
»Das hängt davon ab, ob die Nachkommen Grygorij Polubotoks
in Apostoles oder Buneos Aires leben.« Kate lenkt Pablo zum eigentlichen Zweck
des Treffens.
»Nun ja, es sind nicht mehr viele Nachkommen übrig.« Der
General kehrt zu seinem Thema zurück. »Das Leben im subtropischen Dschungel
war nicht so einfach. Grygorij hatte einen Sohn und eine Tochter. Sein Sohn
starb sehr jung an einer Tropenkrankheit, seine Tochter heiratete in Apostoles
und starb im Wochenbett. Sein einziger direkter Nachkomme ist sein Enkel, der
immer noch am Rand von Buenos Aires lebt.«
Pablo sieht Andrijs vor Aufregung gerötetes Gesicht. »Ich
würde meine Erwartungen lieber etwas dämpfen. Er ist Alkoholiker. Anscheinend
gehörte ihm
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