Shevchenko, A.K.
Alexandrow-Ravelin,
Jefrem Malachow, hat Folgendes bestätigt ...
Jefrem denkt oft, was für ein Glück er hat. Als er
zurückkehrte - voller Narben, ohne Weib und Kind -, nachdem er in den Kriegen gegen
Schweden und das Osmanische Reich zwanzig Jahre lang für sein Land gekämpft
hat, hat Mütterchen Russland ihm diese Liebe vergolten. Man erlaubte Jefrem,
dem Zarenreich zu dienen, und zwar hier, mitten im Herzstück des Reichs. Alles
an der neuen Hauptstadt ist glanzvoll und faszinierend - der milchige Dunst der
frühen Sommernächte, die exakte italienische Perfektion der Gebäude am
Newa-Ufer und das babylonische Sprachgewirr aus Italienisch, Holländisch,
Englisch und Französisch in den Kaffeehäusern - der neuen Alternative zu den
mit Wodkadunst geschwängerten kabaki. Ganz
anders als das alte Moskau. Dort, so erinnert er sich, beherrschten die
prunkvoll überladenen Gemächer des Kreml, die Spitzkuppeln der
Basilius-Kathedrale und die goldenen Zwiebeltürme der Klöster die
düster-versoffene Armut der Hütten und schlammigen Straßen. Er ist stolz,
Wachtposten der neuen Peter-und-Paul-Festung zu sein, die mit ihrer goldenen
Nadel in den nördlichen Himmel sticht. Das einzige Problem mit der Festung ist,
dass sie auf einem Sumpfstreifen nahe dem Meer erbaut ist und darum oft
überflutet wird. Manchmal sterben die Gefangenen noch vor der
Gerichtsverhandlung in den eisigen, feuchten Zellen - doch damit hat Jefrem
nichts zu tun. Er ist nur eine Schildwache, ein kleiner Mann, der seinem Zaren
und dem großen Russischen Reich dient.
Er spürt den Besucher, noch bevor er ihn sieht. Ein Mann
überquert mit raschen Schritten den Innenhof und nähert sich dem rotweiß
gestreiften Schilderhaus, stemmt sich vorgebeugt dem Wind entgegen. Jefrem hat
ihn noch nie aus solcher Nähe erblickt. Der weiße Schal aus feinstem
holländischem Tuch flattert hinter dem großen Körper her, aus seinen
Bewegungen spricht ungezügelte Entschlossenheit und rücksichtslose Energie.
Jefrem zuckt zusammen und eilt auf ihn zu. Er betet im Stillen, Gott möge ihn
vor einem Wutausbruch des nächtlichen Besuchers bewahren.
»Die Schlüssel!«, bellt der Gast.
Jefrem braucht gar nicht erst zu fragen. Er weiß genau,
wer Besuch bekommt.
Der Gefangene Pawlo Polubotok, ein ukrainischer
Kosaken-Oberst, ist sterbenskrank. Der Priester hat ihm bereits die Letzte
Ölung erteilt. Dreizehn Monate gründlicher Verhöre durch die Tajnaja
Kanzeljarija, die berüchtigte Geheimpolizei, und die Tortur der eisigen Zelle
haben zu seinem Siechtum beigetragen. Der Wachtposten hat auch gehört, dass
niemals ein Urteil erging und der Kosak gar nicht des Verrats schuldig ist ...
Als die schwere Eichentür aufgestoßen wird, muss der
Besucher sich ducken: Die Türen der Festung - die sowohl nach ihm als auch nach
den Aposteln Peter und Paul benannt ist - sind nicht für einen so großen
Menschen gedacht. Vielleicht aber wurden die Türen extra so niedrig gebaut,
damit jeder sieht, dass er der Größte und der Klügste ist - er, Peter der
Große, Zar des Russischen Reichs.
Der Herrscher nimmt aus Jefrems zitternden Händen eine
Kerze entgegen und hält einen Augenblick inne, um seine Sinne an die ekelhaft
stickige Dunkelheit der Zelle zu gewöhnen. Durch den Türspalt sieht Jefrem den
alten Kosaken. Die fahle, welke Haut spannt sich über den Wangenknochen,
Speichel tropft aus dem halboffenen Mund - der Oberst gleicht bereits einem Toten.
Das einzige Lebenszeichen ist ein pfeifendes, fauchendes Geräusch. »Das
Zischen einer verendenden Schlange«, hat Jefrem den Zaren sagen hören.
Jefrem weiß nicht recht, was er tun soll - zu seinem
Schilderhaus zurückkehren oder hierbleiben, um seinen Zaren zu schützen? Seine
Neugier siegt über das Pflichtgefühl.
»Ihr hättet nicht herkommen sollen, Zar Peter.« Mit
sichtlicher Mühe versucht sich der Kosaken-Oberst von seinem Lager zu erheben.
Er ist immer noch Krieger und möchte in Gegenwart seines Herrschers aufrecht
stehen.
»Ich habe nicht gewollt, dass es so weit kommt, Pawlo.«
Jefrem wundert sich über den entschuldigenden Ton, den der Zar anschlägt.
»Doch blieb mir keine andere Wahl, als du und deine verräterischen Freunde mit
jenem lächerlichen Gesuch zu mir kamt. Welch dreistes Unterfangen - um mehr
Unabhängigkeit zu bitten, um kleine Privilegien, und den Herrscher vor seinen
Untergebenen der Ungerechtigkeit zu zeihen! Es hätte nicht der Erinnerung
bedurft, dass von den zwölftausend Kosaken,
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