Shevchenko, A.K.
die für den persischen Feldzug
rekrutiert wurden, nur knapp tausend überlebten - dies war nun einmal der
Preis, der für den Sieg zu zahlen war. Ich hatte Gelegenheit, die
Vernehmungsprotokolle einzusehen. Ich konnte die Anklage des Priesters Gawrylo
abweisen, dass du klösterliches Territorium zu deinem eigenen Nutzen an dich
gerissen hättest. Jedermann weiß ja, wie fromm du bist. Doch die zweite
Anklage wiegt weit schwerer. Geheimagenten berichteten, dass ihr in Verbindung
mit einem gewissen Hetman Orlyk gestanden habt, einem gefährlichen Verschwörer,
der in Schweden unter dem Schutz Karls des XII. steht. Ein solcher Verrat,
auch wenn nur der Verdacht dazu besteht, erforderte Bestrafung!
Ich bin nicht hier, um mich zu entschuldigen. Ich will
nur, dass du mir erklärst, auf welche Weise die kosakischen Armeeschätze verschwunden
sind. Was geschah mit dem Gold? Du wurdest um deiner Ehrlichkeit willen zum
Schatzmeister ernannt.«
»Ihr hättet nicht herkommen sollen, Zar Peter«, wiederholt
der Kosak. Man sieht, das Sprechen fällt ihm schwer. »Der Priester ist gerade
gegangen, und meine Seele gehört Gott. Jetzt kann niemand mehr zwischen mir
und dem Allmächtigen stehen. Doch Ihr habt Euch stets für Gott gehalten, nicht
wahr? Eure Seele ist so von Hass verdüstert, dass Ihr das Offensichtliche nicht
sehen könnt. Mein Volk hat Euch so viele Menschenleben geschenkt, und dennoch
nehmt Ihr mehr und mehr - und wir wären immer noch bereit zu geben, wenn wir
als Gleiche behandelt würden statt als Sklaven. Wir haben Euch vertraut, wir
haben Euch geliebt und verehrt, doch wurde uns dafür nur Schmach und maßloses
Unglück zuteil. Und so sind meine letzten Worte an Euch: Es ist leichter,
eine Nation mit Liebe zu regieren, als mit Grausamkeit. Eure Herrschaft wird
nicht von Dauer sein; der Zorn in Eurem Herzen steht einem christlichen
Monarchen nicht an. Als Christen werden wir beide bald Gott schauen, so wie es
Peter und Paul in der Bibel widerfuhr. Meine Seele wird vierzig Tage auf Euch
warten - wir sollten gemeinsam vor das Gericht des Allmächtigen treten.« Jefrem
verwirrt diese Rede des Kosaken. Der Mann muss den Verstand verloren haben,
dass er es wagt, so mit dem Zaren zu sprechen ! Als Jefrem einen dumpfen
Schlag hört, eilt er näher. Er sieht, wie der Herrscher den Kosaken Pawlo gegen
die feuchte, glitschige Mauerwand presst.
»Was hast du mit dem Kosakengold gemacht, Pawlo? Es gehört
dir nicht! Es gehört Russland, dem Reich! Du kannst es ohnehin nicht mit nach
drüben nehmen!«
Kates Finger folgen Andrijs sauberen Punkten und Kreuzen:
Peter der Große, Kaiser aller Russen, starb im Januar 1725, genau
vierzig Tage nach dem Tod des kosakischen Schatzmeisters Oberst Pawlo
Polubotok. Pawlos Rede, wiedergegeben von Jefrem, wurde zur Legende. Das
Kosakengold wurde nie gefunden. Es hieß, Polubotoks Sohn habe das Gold im Jahr 1723 bei der
Bank of England deponiert.
Gemäß Polubotoks Testament können seine Nachkommen auf das
Gold Anspruch erheben, egal in welcher Generation. Es gibt jedoch zwei
Bedingungen: Die Ukraine muss ein unabhängiger Staat werden, und der Nachkomme
muss in der Ukraine leben. Wenn der Nachkomme im Ausland lebt, hat er Anspruch
auf 5 Prozent des Erbes, der Rest muss
der unabhängigen Ukraine zugutekommen.
Dem Guinness-Buch der Rekorde zufolge
ist Polubotoks Gold, einschließlich der aufgelaufenen Zinsen, das weltweit
zweitgrößte noch nicht eingeforderte Erbe.
Im August 1991 erklärte
die Ukraine offiziell ihre Unabhängigkeit, zur Überraschung der ganzen Welt
und zur Bestürzung ihrer unmittelbaren Nachbarn. Auf der Agenda der ersten
historischen Sitzung des Ukrainischen Parlaments, der Werchowna
Rada, stand ein Antrag, der Bank of England alle nötigen
Dokumente vorzulegen, damit zugunsten der neuerdings unabhängigen Nation
Anspruch auf das Kosakengold erhoben werden kann, fast drei Jahrhunderte
nachdem es in jenen weit entfernten Londoner Tresoren deponiert worden war.
Entweder lagen nicht alle Dokumente vor, oder das Parlament hatte alltäglichere
und dringendere Probleme zu lösen, die das Überleben des jungen Staats
betrafen - jedenfalls wurde der Antrag zurückgestellt. Do kraschtschych
tschasiw - »bis bessere Zeiten kommen«, wie es in der Ukraine heißt.
Als neben ihr jemand laut hustet, um auf sich aufmerksam
zu machen, unterbricht sie die Lektüre und sieht ihren Reisegefährten an - ein
Junge in einem marineblauen Blazer, dessen
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