Sheylah und die Zwillingsschluessel
Tempo und erreichten das Totengebirge somit vor Sonnenuntergang - was zu ihrem Vorteil war, sollten dort ihre Feinde lauern. Denn es war besser, tagsüber angegriffen zu werden, als nachts. Andrey versicherte ihnen allerdings, dass sie keinen Überfall der Skintii zu erwarten hatten, weil diese das Totengebirge mieden. „Sehr beruhigend“, murmelte Sheylah. Wenn selbst die Skintii das Gebirge fürchteten, mussten sie sich ja wirklich keine Sorgen machen! Die dunklen Felsen, die Sheylah aus der Ferne gesehen hatte, entpuppten sich beim näheren Betrachten als kalkweiße Gebirgsgruppe. Der Sand, die Felsen, sogar die verdorrten Sträucher waren kalkweiß, als hätte es Kreide geregnet. „Ist das normal?“, wollte Sheylah wissen.
„Ich weiß nicht“, antwortete Andrey. „Ich bin noch nie hier gewesen.“ Der Abschied verlief kurz und schmerzlos. Neela drückte ihren Bruder fest an sich und dieser gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Djego klopfte er auf die Schulter und ermahnte ihn, auf seine Schwester achtzugeben und auch Sheylah drückte er zum Abschied. „Isaak, du wirst sie begleiten und uns Bescheid geben, wenn der Kampf begonnen hat“, wies Andrey ihn an und der Rabe stieg in die Lüfte. „Werden sie ihn nicht sehen?“, fragte Sheylah. „Die Dunkelberge sind ziemlich hoch und bieten optimalen Schutz. Wenn er tief genug fliegt, wird man ihn nicht bemerken“, erklärte Andrey. Pass auf dich auf, ermahnte Sheylah Isaak und der gab ihr den gleichen Rat zurück. Sie warteten noch, bis die dreitausendköpfige Truppe aus ihrem Blickfeld verschwunden war, dann machten sie sich auf den Weg. Sheylah wusste nicht, wie viele Truppen Morthon befehligte, fand die Zahl ihrer Streitkräfte aber sehr beachtlich. Wenn sie die Torger und Basa zusammenzählte, kam sie auf achttausend Mann. Sie hoffte inständig, dass sie Morthon damit die Stirn bieten konnten.
DAS TOTENGEBIRGE
Das Totengebirge war – wie der Name vermuten ließ – totenstill. Kein Windzug, kein Rascheln oder Zwitschern und kein loser Stein, der den Abhang herunterkullerte und so einen Hinterhalt verriet. Es war zum Fürchten. Sheylah, Andrey, Djego, Berger, Neela, Sou und Raqui hatten sich zu einem Viereck formiert und schlichen das Gebirge entlang. Andrey bildete die Spitze und Berger den Schluss. Djego und Raqui gingen links und Sou auf der rechten Seite. In der Mitte befanden sich Sheylah und Neela. Andrey hatte ihnen Anweisungen gegeben, bei der kleinsten Bewegung Alarm zu schlagen. Sheylah spürte, dass es ihm gegen den Strich ging, ein Gebiet zu betreten, das er nicht kannte. Er hatte ihnen sonst immer schon im Voraus sagen können, welche Gefahren auf sie lauerten, aber hier war er selbst nie gewesen und das machte ihn nervös. Nach etwa drei Stunden ging die Sonne unter und es war noch nichts geschehen. Doch keiner der Gefährten entspannte sich, denn das Gefühl, beobachtet zu werden, wurde stärker, je tiefer die Sonne sank. Sheylah war nicht die Einzige, die sich nervös umsah und bei den kleinsten Geräuschen zusammenzuckte. Es ärgerte sie, dass Sou die Sache nicht ernst nahm und sich immer wieder darüber lustig machte, wenn jemand zusammenfuhr. Er las ihre Gedanken und hob entschuldigend die Schultern. Das einzig Positive an dem Totengebirge war, dass keine Fackeln benötigt wurden, als die Nacht hereinbrach. Die kalkweißen Steinwände und der Sand waren nämlich so hell, dass es keiner weiteren Lichtquelle bedurfte, um sehen zu können. Andrey und Sheylah hörten das Geräusch gleichzeitig und fuhren herum. Es war nur ein winziger Stein, der die Felswand neben ihnen herunterkullerte, aber er kündigte Unheilvolles an. Noch bevor der Stein den Boden erreicht hatte, brach ein menschengroßer Brocken aus der Felswand und stürzte auf sie nieder. Andrey rief eine Warnung und ihre Gruppe stob wie Ameisen auseinander. Der Felsbrocken landete in ihrer Mitte und verursachte beim Aufprall einen weißen Staubwirbel, der Sheylah für einen Augenblick die Sicht nahm. „Ist jemand verletzt?“, rief Andrey und zu Sheylahs Erleichterung verneinten alle. Der Staub hatte sich noch nicht ganz gelegt, als Sheylah eine Bewegung rechts von sich wahrnahm. Und als sie ihre Augen anstrengte, um besser zu sehen, konnte sie einen Aufschrei nicht unterdrücken.
„Ach du Scheiße, was ist das denn?“, rief sie. Mitten aus der Felswand erhob sich ein Arm, der so breit und groß war wie ein Elefantenfuß. Langsam schob er sich aus der Felswand, gefolgt von
Weitere Kostenlose Bücher