Sheylah und die Zwillingsschluessel
Verzweifelt, wie König Thoren war, ließ er Zauberer und Heiler aus aller Welt anreisen, um seinen Sohn zu retten, doch er war mittlerweile schon so verdorben, dass sich keiner mehr an ihn heranwagte. Vielleicht hätte man dem armen Jungen helfen können, wenn man ihm nur rechtzeitig den Schlüssel abgenommen hätte, aber die dunkle Macht war stärker als der König. Es verging ein weiteres Jahr, bis Prinz Tristan einen Anschlag auf seinen Vater verübte und versuchte, die Truhe zu stehlen. Die Götter müssen unseren König sehr geliebt haben, denn beides misslang dem Prinzen. So schrecklich es für den König war, doch er musste seinen Sohn aus dem Königreich verbannen. Er brachte es nicht übers Herz, ihn töten zu lassen, denn trotz allem liebte er seinen Sohn und so verbannte er ihn in ein trostloses Land namens Guanell. Ein Jahr später gebar Prinzessin Zizilia eine Tochter namens Alice, Eure Großmutter, und von dem verbannten Tristan hörte man nichts mehr.
In einem letzten verzweifelten Akt suchte der gebrochene König Rat bei den Basa, doch diese verhöhnten ihn. Die Anführerin selbst überreichte ihm alte Schriftrollen, die von den Zwillingsschlüsseln erzählten. Er solle das Rätsel selbst lösen und seinen Sohn töten, erst dann würde ihm das Basavolk verzeihen. Doch der König wurde krank vor Verzweiflung und Sehnsucht und zog sich in seine Gemächer zurück. Sechs Jahre später starb er und das ganze Land trauerte um ihn. Zwei Wochen später tauchte Prinz Tristan wieder auf, doch er war nicht mehr derselbe. Von dem einstigen hübschen Prinzen war nichts mehr übrig geblieben. Die Finsternis hatte ihn endgültig verschlungen und als er erfuhr, dass der König tot war, konnte sich ihm niemand mehr in den Weg stellen. Er stahl die Truhe und brachte sie nach Guanell, deswegen wird sie heute auch die Truhe von Guanell genannt. Er steckte seinen verdorbenen Schlüssel hinein und verwandelte Guanell in ein Land des Schreckens und des Todes. An diesem Tag legte er seinen Geburtsnamen ab und nannte sich fortan Morthon. Er erschuf finstere Kreaturen und Geschöpfe der Nacht, seine schrecklichste Waffe aber waren die Skintii. Bis heute wissen wir nicht, wieso unsere Stadt Torga noch steht, wieso er sie nicht in Schutt und Asche gelegt hat. Denn nachdem er die Truhe sicher in Guanell versteckt hatte, kam er zurück, um die gesamte Königsfamilie auszurotten. Er ließ niemanden übrig, der königliches Blut hatte. Abgesehen hatte er es natürlich auf Prinzessin Zizilia und ihren Schlüssel abgesehen, denn erst, wenn der Schlüssel des Lichts vernichtet ist, wird seine Herrschaft vollständig sein. Morthon ahnte nicht, dass seine Schwester derweilen eine Tochter hatte. Zizilia floh mit Alice in die Wälder, doch sie wusste, dass er ihren Schlüssel spüren konnte, genauso wie sie seinen spüren konnte. Er jagte sie durch das halbe Land, denn nur, wenn er Tarem in den Händen halten würde, könnte er sicher sein, dass sich ihm keine Macht mehr in den Weg stellte.
Er spürte sie dort im Wald auf, doch was genau geschah und wie Alice in Eure Welt gelangt ist, könnt nur Ihr uns erzählen. Denn alles, was wir fanden, war Prinzessin Zizilias Leichnam.“ Sheylah brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er sie meinte. Zu viele Informationen schwirrten ihr im Kopf herum. „Wie bitte? Ich … woher sollte ich das wissen? Das war lange vor meiner Zeit“, sagte sie verdattert. Hilfesuchend schaute sie zu Djego, der sie aber ebenfalls erwartungsvoll ansah. Aros beugte sich zu ihr nach vorn. „Sagt mir, Prinzessin, habt Ihr manchmal sonderbare Träume?“ Sheylah merkte, wie sie noch blasser wurde, wenn das überhaupt möglich war. Graf Aresto hatte gesagt, dass die Erinnerungen der vorherigen Schlüsselträger in Tarem gespeichert sind. Es gab da einen Traum, einen, der sie seit ihrem achtzehnten Lebensjahr verfolgte, aber so verworren und verschwommen war, dass sie ihn nie hatte deuten können. Sie räusperte sich und erzählte mit brüchiger Stimme: „In meinem Traum bin ich die Mutter eines kleinen Mädchens, ich vermache ihr Tarem und schicke sie fort. Ich kann aber nicht verstehen, was ich dort spreche, weil alles so verzerrt ist. Zwischendurch fehlen auch ein paar Szenen, aber am Ende liege ich auf dem Boden und blicke in das Gesicht eines vermummten Mannes. Er hält ein Schwert über mir und kurz bevor er es mir ins Herz stößt, reißt er seine Kapuze herunter. Doch ich kann sein Gesicht nicht erkennen,
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