Sheylah und die Zwillingsschluessel
hat.
Wenn er nicht mehr ist, wirst du unser Land regieren. Du wirst die Menschen einmal anführen und beschützen. Im Moment bist du jedoch diejenige, die angeführt und beschützt werden muss. Kein Wunder, dass er dich nicht auf der Straße haben will. Wenn die Menschen wüssten, dass du keine Ahnung hast, was du da tust, würde hier das Chaos ausbrechen. Also rate ich dir, unseren Ratschlägen zu folgen, um deinetwillen.“ Als er zu Ende gesprochen hatte, atmete er schwer, so sauer war er. „Du hast ja Recht, Djego, und ich möchte nicht mit dir streiten. Du bist der Einzige, den ich noch habe, nachdem Neela mich verlassen hat und Andrey mich abweist.“ Sein Blick wurde mitfühlend. „Ich wollte dich nicht verletzen, Sheylah, ich mag dich wirklich sehr“, sagte er und drückte ihren Kopf gegen seine Brust. Es war wundervoll, von jemand gehalten zu werden, den man mochte. Es war, als würde ihr großer Bruder sie trösten. „Ist schon okay, ich weiß, dass ich ein Fall für die Klapsmühle bin, umso mehr schätze ich, dass du dich so um mich kümmerst“, antwortete sie lächelnd. „Komm, ich bringe dich auf dein Zimmer“, sagte er und schob sie vor sich her. Sie protestierte nicht einmal, denn sie wollte nur noch schlafen und die heutigen Geschehnisse schleunigst vergessen.
Zum ersten Mal in dieser Welt, wachte Sheylah früh auf. Es dämmerte gerade mal, aber sie konnte nicht mehr schlafen. Die Ereignisse des letzten Tages kreisten in ihrem Geist herum und bereiteten ihr Kopfschmerzen. Was hatte sie sich da bloß wieder eingebrockt? Sie hatte den Grafen verärgert, weil sie nicht auf Neela gehört und sofort zum Schloss zurückgekehrt war, hatte ihre einzige Freundin verloren, weil der Graf so rachsüchtig war und den Krieg so schnell wie möglich gewinnen wollte und sie hatte es sich mit Andrey verdorben, weil sie ihm offen ihre Zuneigung gestanden hatte. Es hätte ihr nicht elender gehen können. Und trotzdem war da noch ein Fünkchen Licht in der Dunkelheit, das sie nicht ganz eingehen ließ. Denn heute würde sie alles erfahren, endlich würde es Antworten geben. Nachdem Sheylah ihr Bett gemacht – Neela hätte sie jetzt ermahnt, dass das nicht ihre Aufgabe war – und sich gewaschen hatte, zog sie ein dunkelgrünes Kleid an. Es war nicht so pompös wie die meisten Kleider in ihrer Garderobe und für den heutigen Anlass deshalb genau richtig. Sie band sich die Haare zu einem lockeren Zopf und stieg die Treppe hinab. Djego wartete bereits in der Eingangshalle auf sie. Als sie die letzte Stufe erreichte, verbeugte er sich vor ihr und küsste ihren Handrücken. „Lass das“, sagte sie und schaute ihn grinsend an. Er lächelte zurück. „Ich bin ein Ritter, ich muss mich an die Etikette halten“, gab er zurück. Sie gingen in den Speisesaal, um dort erst einmal zu frühstücken. Außer einer alten Küchenmagd war niemand weiter anwesend und es schmerzte Sheylah, eine andere Frau an Neelas Stelle zu sehen. Wäre sie jetzt hier gewesen, hätten sie herumgealbert oder sich unterhalten. Diese Küchenmagd jedoch war eine grauhaarige alte Dame, die in ihrem Leben wohl nicht viel gelacht hatte. Mit versteinerter Miene und zusammengezogenen Lippen servierte sie ihnen das Essen. Frisches Brot, Käse, Wurst, Eier, Speck und Milch. Ohne wirklich Hunger zu haben, schmierte sich Sheylah eine Scheibe Brot und belegte sie mit drei Lagen Wurst. Djego staunte nicht schlecht, enthielt sich aber jeglichen Kommentars.
„Ich vermisse meine Cornflakes“, meinte Sheylah und biss lustlos in ihr Brot. Djego schaute sie nur an, sagte aber nichts. Was sollte man auch darauf antworten? „Cornflakes, das ist etwas zu essen. Wenn ihr keine hier habt, kann ich auch schnell zum Supermarkt und welche besorgen“, bot sie an. Djego lachte und Sheylah ebenfalls. „Du hast keine Ahnung, wovon ich rede, oder?“ Er schüttelte den Kopf. „Du redest manchmal wirklich komisches Zeug, ich muss mich noch daran gewöhnen.“ Nach dem Frühstück machten sie sich auf den Weg zu Aros. Djego führte Sheylah über den Innenhof, in dem ein wunderschöner Garten angelegt war. Das musste der Garten sein, von dem der Graf so geschwärmt hatte. Na ja, schön war er wirklich, soviel musste sie widerstrebend zugeben. Wo man nur hinsah, hohe alte Bäume, dazwischen Küchenkräuter und ein wahres Blütenmeer. Vögel zwitscherten, Bienen summten und Wasser plätscherte aus einem kleinen Brunnen in der Mitte des Hofes. Ein süßer, frischer Duft lag
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