Sheylah und die Zwillingsschluessel
Ecke. Andreys Haus besaß mehrere Stockwerke und gab einen prachtvollen Anblick her. Es war von zwei zugemauerten Gebäuden flankiert, was den Eindruck vermittelte, er wolle seine Privatsphäre haben. Kein Wunder, bei den vielen Geheimnissen, die er hatte! Sie sah noch, wie er in der Wohnungstür verschwand und ihm ein Wachmann folgte. Der zweite stellte sich vor die Tür. Und nun? Sie schaute an den glatten Wänden hinauf und suchte nach einem anderen Weg. Man könnte auf eines der Dächer klettern und von dort aus in das Fenster gelangen – könnte man, wenn man Spiderman war. Da sie aber weder so gelenkig noch mutig war, versuchte sie es mit dem gewöhnlichen Weg. Sie strich ihre Haare glatt, räusperte sich und trat erhobenen Hauptes um die Ecke. Als sie sich der Wache näherte, glaubte sie eine Bewegung hinter einem der Fenster wahrzunehmen. Genau konnte sie es aber nicht sagen, weil die Fenster von innen verdunkelt waren. „Ich wünsche Sir Darios zu sprechen“, sagte sie mit fester und autoritärer Stimme. „Verzeiht, Herrin, aber Sir Darios ist nicht zugegen“, log die Wache. „Mich dünkt, ich habe ihn aber eben durch diese Tür gehen sehen?“, sagte Sheylah, sich seinem Ton anpassend. Sie tat, als müsse sie ernsthaft überlegen, dann schaute sie ihm so lange in die Augen, bis er klein beigab und zu Boden sah. Sheylah konnte sein Herz vor Aufregung schneller schlagen hören und auf seiner Stirn bildeten sich kleine Schweißperlen. Bevor er ihr noch zusammenklappte, sagte sie: „Hör zu, wir können das Spielchen meinetwegen den ganzen Tag weiterspielen, aber am Ende werde ich durch diese Tür gehen.“ Der Mann räusperte sich und setzte eine ernste Miene auf. „Verzeiht, aber ich habe ausdrückliche Befehle.« Sheylah stemmte die Hände in die Hüften. „Ach, und wie lauten die?“ Kleinlaut antwortete er: „Euch nicht hineinzulassen.“ „Aha!“, rief Sheylah laut, so dass auch Andrey sie hören konnte. „Das hat er befohlen, ja? Na warte, Andrey Darios!“ Sie schob den Wachmann zur Seite und klopfte gegen die Tür. „Ich weiß, dass du da drin bist, Andrey, mach die Tür auf!“ Als sie keine Antwort bekam, fielen ihre Worte weniger freundlich aus und aus dem Klopfen wurde ein Hämmern.
Sie ertappte sich sogar dabei, wie sie ihn einen Feigling nannte und gegen die Tür trat. Sie öffnete sich so plötzlich, dass Sheylah um ihr Gleichgewicht kämpfen musste, um nicht hineinzufallen. Das wäre nicht sehr würdevoll gewesen - nicht dass ihr bisheriger Auftritt das gewesen war. Aber nicht Andrey, sondern der andere Ritter stand in der Tür. Er sah Sheylah einen Moment an, dann rauschte er an ihr vorbei und gebot seinem Gefährten, ihm zu folgen. Langsam trat Sheylah in die Tür und schauderte, als könnte dort etwas Gefährliches lauern. „Wo bist du?“, fragte sie. Doch ihre Stimme klang nicht mehr wütend, sondern kleinlaut. „Ich bin hier“, antwortete er aus einem anderen Raum. Er klang wie immer sehr müde und traurig. Sie ging in ein großes Nebenzimmer und fand Andrey mit dem Rücken zu ihr sitzen. Sheylah blieb in der Tür stehen und wartete darauf, dass er das Wort ergriff. Vielleicht hätte sie doch nicht auf ein Gespräch bestehen sollen, denn nun wusste sie nicht, was sie sagen sollte. „Du bist hartnäckiger, als ich dachte“, sagte er. „Ich möchte nur die Wahrheit wissen, dann lass ich dich in Ruhe“, sagte sie und hatte Mühe, ihre Stimme ruhig zu halten. Nicht, weil sie Angst hatte, sondern weil sie es kaum ertragen konnte, ihm so nahe zu sein und gleichzeitig so weit entfernt. Noch nie hatte sie jemand so sehr angezogen, wie Andrey. Und noch nie hatte sie sich so geborgen in jemandes Nähe gefühlt. Doch was sie daran so beunruhigte, war, dass sie Andrey erst seit wenigen Wochen kannte. Wie hatte sie also derartige Gefühle für ihn entwickeln können? „Du würdest mich nie in Ruhe lassen“, sagte er müde und stand auf. Er drehte sich langsam zu ihr herum, blieb aber auf Distanz. „Genausowenig, wie ich dich in Ruhe lassen könnte.“ Sheylah gab ein zittriges Lachen von sich. „Also das musst du mir erklären. Ich hatte eigentlich immer das Gefühl, du würdest mir aus dem Weg gehen.“ Andrey kam langsam näher. „Das habe ich auch versucht, aber wie könnte ich dir dauerhaft aus dem Weg gehen, wenn ich mich so zu dir hingezogen fühle?“ Sheylah bekam rote Wangen und schaute zu Boden. Sie konnte seinem traurigen und gleichzeitig intensiven Blick nicht
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