Sheylah und die Zwillingsschluessel
würde sie verletzen. „Dann ist er auch unsterblich?“ Als Sheylah nicht so reagierte, wie er erwartet hatte, ließ er sich auf einer Bank nieder und winkte sie zu sich. „Unsterblich würde ich es nicht nennen, niemand ist unsterblich. Aber sie altern nicht und sterben auch keines natürlichen Todes. Genau wie du und ich. Wir werden nie altern, Sheylah. Du nicht, weil du die Trägerin des Schlüssels bist und ich nicht, weil ich sein Wächter bin.“ „Du machst Witze, oder?“, fragte sie und zog eine Grimasse. Niemals altern, was für ein Quatsch! „Ich scherze nicht, Sheylah, oder was glaubst du, warum Morthon immer noch lebt?“ „Keine Ahnung, gute Ernährung?“ Er überging ihren Kommentar und erklärte: „Tarem und Tuga ermöglichen ihren Trägern ewiges Leben, genauso wie seinen Wächtern.“ Sheylah ließ sich das Ganze durch den Kopf gehen. „Wenn du also der Wächter von Tarem bist, hat Morthon ebenfalls einen?“ „Ja.“ „Oh Mann, wie sollen wir den Kampf nur gewinnen?“ Er nahm ihre Hand. „Durch Hoffnung und Mut, etwas, das das Böse niemals haben wird.“ Eines musste man Andrey lassen, er hatte immer aufbauende Worte parat. „Du sagtest, ich sei unsterblich. Wie soll das gehen? Ich meine, ich bin einundzwanzig Jahre alt, ich bin also schon gealtert.“ „Ja, aber nur weil der Schlüssel in deiner Welt nicht aktiv war. Und wie sollte er auch. Er wurde hier erschaffen, in einer Welt voller Magie, nur hier kommt seine Kraft zum Einsatz.“ Sheylah entdeckte einen Fehler in dem Puzzle. „Wenn das stimmt und Tarem in meiner Welt keine Macht hat, warum sind dann meine Mutter und Oma gestorben, als sie ihn vererbt haben? Und Zizilia und Tristan, die sind ebenfalls gealtert, als sie den Schlüssel bekamen.“ Andrey überlegte. „Deine erste Frage kann ich nicht beantworten, vielleicht hatte Tarem seine Macht nicht gänzlich verloren. Und Prinzessin Zizilia und Prinz Tristan sind nur bis zu einem bestimmten Punkt gealtert.“ „Hm“, machte Sheylah. Eine sehr schwammige Erklärung.
Ihr fiel noch etwas ein. „Du sagtest, du bist der Wächter des Schlüssels. Wie lange schon, ich meine, verdammt, wie alt bist du?“ Andrey schaute sie lange an. „Das würde dich nur erschrecken“, sagte er. Sheylah ließ nicht locker. „Einhundert? Zweihundert? Dreihundert?“ Sie hörte auf, als er immer noch nicht antwortete. „Mein Gott, du bist über dreihundert Jahre alt?“, fragte sie entgeistert. Das musste sie erst einmal verdauen. „Werde ich auch so alt werden?“, fragte sie nach einer Weile. Jetzt lächelte er wieder. „Wenn ich auf dich aufpasse, bestimmt.“ Sie wusste gar nicht, ob sie das wollte. Ewig leben, das hörte sich verdammt lang an. „Wenn wir wirklich unsterblich sind, wieso konntest du dann am Einsamen Fels vergiftet werden?“ „Weil Tarems Macht uns nur vor dem wahren Tod beschützt. Wir können also sehr wohl vergiftet oder außer Gefecht gesetzt werden, nur sterben können wir nicht – zumindest nicht so einfach.“ „Wenn du sagst, dass wir und unsere Wächter unsterblich sind, können wir uns dann überhaupt gegenseitig vernichten?“ „Selbstverständlich, nur würde der Kampf wahrscheinlich unentschieden ausfallen, weil wir gleichstark sind.“ „Eine Sache noch. Was ist eigentlich deine Aufgabe als Wächter? Schützt du mich oder Tarem?“ „Da die Schlüssel nur zerstört werden können, wenn ihre Träger tot sind, habe ich auch die Aufgabe, dich zu schützen – also beide.“ Sheylah spürte etwas Kaltes an der Wange. Der Rabe war ihr, ohne dass sie es bemerkt hatte, näher gekommen und berührte sie mit dem Schnabel. Sie musste vor lauter Schreck schlucken, streichelte ihn aber. „Hat er auch einen Namen?“ „Er heißt Isaak. Zizilia hat ihn gefunden, kurz nachdem ihr Bruder, damals noch Prinz Tristan, sich verändert hat. Es war am Königshofe üblich, einmal im Jahr zur Hirschjagd zu gehen. Alle Adligen und Mitglieder der königlichen Familie zogen in die Wälder und jagten alles, was ihnen in den Weg kam. Es gab jedoch eine Regel. Man durfte das Wild fangen, aber nicht töten. Das Seltenste, das man fangen konnte, war ein Hirsch. Wer es schaffte, einen zu fangen, durfte sich etwas aus der königlichen Schatzkammer aussuchen. Und da König Thoren berüchtigt für seinen Reichtum war, war dieses Ereignis hochgeschätzt. Wir gingen immer in Gruppen. Unsere bestand aus Zizilia, ihrer besten Freundin Anna, ein paar Adligen, Prinz Tristan und mir.“
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