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Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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Lagen von Nebel bilden sich, blendend weiß, weil sie von der grellen Sonne darüber aufgehellt werden. Ein starkes Whiteout macht die Augen tränen; es ist undurchdringlich, so dicht und hell, dass die ausgestreckte Hand einer blassen Geisterhand gleicht und die Füße sich in milchiger Grelle verlieren. Ein größeres Whiteout bringt Verhältnisse mit sich, die gefährlicher sind als Blindheit; es verursacht Schwindelgefühle und Sinnestäuschungen. Ein mit den baskischen Bergen wohlvertrauter Mann kann sich in der finstersten Nacht sicher bewegen. Dass er nicht sehen kann, löst eine kompensierende Schärfung der übrigen Sinne aus; das Streichen des Windes über seine Wange zeigt ihm an, dass er sich einem Hindernis nähert; leichte Geräusche rollender Steinchen verraten ihm den Neigungswinkel des Bodens und die Entfernung. Und die Schwärze ringsum ist niemals ungebrochen; die weit geöffneten Pupillen nehmen stets irgendwo am Himmel einen Schimmer wahr.
    In einem Whiteout jedoch kommt es nicht zu diesen kompensierenden Sinnesreaktionen. Die begriffsstutzigen Augennerven, überflutet und gereizt vom Licht, melden dem zentralen Nervensystem hartnäckig, sie könnten sehen, und so entspannen sich Gehör und Tastsinn und schlummern ein. Kein Wind bringt subtile Anhaltspunkte für die Entfernung, denn Wind und Whiteout treten niemals gemeinsam auf. Und die Geräusche sind trügerisch, denn der Ton trägt zwar weit und klar durch die feuchtigkeitsgesättigte Luft, scheint aber wie unter Wasser von allen Seiten zugleich zu kommen.
    In solch ein Whiteout stieg Hel nun aus der Finsternis des Kletterschachtes empor. Als er seine Fallschirmgurte ablegte, ertönte irgendwo oben am Rand des gouffre Le Cagots Stimme.
    »Das ist die versprochene Überraschung.«
    »Wie schön.«
    Als Hel die Wand des gouffre emporkletterte, konnte er vage fünf Gestalten bei der Winde ausmachen. Er musste bis auf einen Meter herangehen, um in den anderen beiden die jungen Basken zu erkennen, die unten in der Holçarté-Schlucht kampiert hatten, um auf das Austreten der Farbe aus dem unterirdischen Fluss zu warten. »Seid ihr durch diese Suppe raufgestiegen?«, erkundigte sich Nikolai.
    »Sie fing an sich zu bilden, als wir kamen. Wir haben es grade noch knapp geschafft.«
    »Und wie sieht’s weiter unten aus?«
    Da sie alle Bergkenner waren, wussten sie, was er meinte.
    »Noch grauer.«
    »Viel grauer?«
    »Viel grauer.«
    Wenn der Nebel unten noch dichter war, wäre es Wahnsinn, in diesem Berggelände, das wie ein Schweizer Käse mit trügerischen Rissen und steilen gouffres durchsetzt war, hinabzusteigen. Sie würden also bergauf klettern müssen und hoffen, aus dem Nebel herauszukommen, bevor sie den Gipfel erreichten. Das ist immer das Beste in einem Whiteout, weil es relativ schwierig ist,berg auf zu fallen.
    Allein hätte Hel es allerdings trotz des blendenden Nebels dank seiner besonderen Wahrnehmungsfähigkeiten durchaus geschafft. Er hätte sich auf die Kombination seines Proximitätssinnes und seiner eingehenden Kenntnis der Berge verlassen und sich vorsichtig durch das Terrain, das in dem blendenden Dunst verborgen lag, hinuntergetastet. Die Verantwortung für Le Cagot und die vier jungen Basken jedoch konnte er nicht auf sich nehmen.
    Da es unmöglich war, weiter als einen Meter deutlich und weiter als drei Meter überhaupt etwas zu sehen, seilten sie sich an, und Hel führte bei diesem langsamen, vorsichtigen Aufstieg, wählte jeweils den längeren, bequemeren Weg um Felsbuckel, über Geröllhalden und am Rand tiefer gouffres entlang. Die Nebelwand wurde zwar nicht dichter, aber, je weiter sie sich der Sonne näherten, umso blendender. Nach einer Dreiviertelstunde brach Hel unvermittelt zu Sonnenlicht und freiem blauen Himmel durch, und die Szene, die sich ihm darbot, war wunderschön und ehrfurchtgebietend. In der absoluten Stille der Nebelschicht löste die nach oben durchbrechende Bewegung seines Körpers träge Wirbel und Wellen aus, die hinter ihm langsam weiterkreisten und in denen das Seil verschwand, das ihn mit dem Mann unter ihm verband, der zwar nur zehn Meter tiefer stand, aber vom Weiß verschluckt wurde. Er selbst schien auf einem strahlend weißen Plateau zu stehen, der Oberseite des dichten Nebels, der sich flach und reglos Hunderte von Kilometern weit erstreckte und alle Täler unten ausfüllte, als wäre es Schnee. Durch diese Nebeldecke ragten die Gipfel der baskischen Pyrenäen empor, im hellen Sonnenlicht

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