Shibumi: Thriller (German Edition)
ist nur von kurzer Dauer, denn bald schon dreht sich der Wind nach Osten und wird zum kühlen Iduzki-haizea, dem »sonnigen Wind«, der sich jeden Morgen erhebt, sich aber bei Sonnenuntergang legt, wodurch das Paradoxon kühler Nachmittage und warmer Abende bewirkt wird. Die feuchte und doch klare Luft schärft die Umrisse der Landschaft, vor allem, wenn die Sonne tief steht und ihre schrägen Strahlen die Struktur von Büschen und Bäumen hervorheben; die Feuchtigkeit mattiert jedoch die Einzelheiten der fernen Berge, tönt sie bläulich, macht ihre Umrisse weich, verwischt die Grenze zwischen Bergen und Himmel. Dann, eines Morgens, blickt man hinaus und stellt fest, dass die Luft kristallklar geworden ist, dass die fernen Berge ihren blauen Dunst verloren, dass sie sich enger ums Tal geschlossen haben und mit ihren messerscharfen Silhouetten in das kräftige Blau des Himmels eingeätzt sind. Dies ist die Zeit des Hego-churia, des »weißen Südostwindes.« Im Herbst beherrscht der Hego-churia nicht selten wochenlang das Wetter und bringt die großartigste Jahreszeit des Pays Basque mit sich. Mit einer Art schicksalhafter Gerechtigkeit wird der strahlende Glanz des Hego-churia dann vom wilden Toben des Haize-hegoa abgelöst, jenes knochentrockenen Südwindes, der um die Flanken der Berge brüllt, in den Dörfern Fensterläden zerschmettert und Dachziegel losreißt, schwache Bäume bricht und blendende Staubwirbel über den Erdboden jagt. Nach echtem Baskenbrauch, in dem das Paradoxe das Normale repräsentiert, ist dieser gefährliche Südwind samtwarm. Selbst während er die Täler hinabfegt und die ganze Nacht hindurch an den Häusern rüttelt, stehen die Sterne klar und groß am Himmel. Es ist ein kapriziöser Wind, der so plötzlich nachlässt, dass das Schweigen wirkt wie die Stille nach einem Schuss, nur um dann mit voller Wut wieder aufzuleben, die von Menschenhand geschaffenen Dinge zu zerstören, die von Gott geschaffenen Dinge zu testen und umzuformen und mit seinem unablässigen Kreischen um die Häuserecken und dem winselnden Klagen in den Schornsteinen die Menschen gereizt zu machen und an ihren Nerven zu zerren. Und weil der Haize-hegoa so kapriziös und gefährlich, so schön und unbarmherzig, so enervierend und sinnlich ist, wird er in baskischen Sprichwörtern oft als Symbol für die Frau verwendet. Wenn seine Kraft schließlich erschöpft ist, schwenkt der Südwind nach Westen um, von wo er Regen und dicke Wolken mitbringt, deren Bäuche sich düster-grau blähen, deren Ränder jedoch silbrig schimmern. Es gibt – wie für alles im Baskenland – auch für dieses Phänomen ein altes Sprichwort: Hegoak hegala urean du – »Der Südwind fliegt mit einem Flügel im Wasser.« Der Segen, den der Südwestwind bringt, fällt dicht und senkrecht und tut dem Boden wohl. Aber dann schwenkt er wieder um und bringt den Haize-belza, den »schwarzen Wind«, mit seinen kräftigen Böen, die den Regen waagerecht vor sich hertreiben und Schirme nutzlos, ja sogar auf komische Art heimtückisch werden lassen. Dann, eines Abends, lichtet sich der Himmel plötzlich, und der Wind an der Erdoberfläche erstirbt, obwohl die Strömungen in großer Höhe weiterhin Wolkenschichten über den Himmel jagen und sie zu Fetzen auseinanderreißen. Wenn die Sonne sinkt, werden chimärenhafte Archipele grauer Wolle südwärts gejagt, wo sie sich an den Flanken der hohen Berge golden und rostbraun auftürmen. Dieses Schauspiel von atemberaubender Schönheit dauert nur einen Abend. Am nächsten Morgen herrscht wieder das grünliche Licht des Ipharra. Der Nordwind ist zurückgekehrt. Der Zyklus beginnt von vorn. Obwohl die Winde, jeder mit seiner ausgeprägten Persönlichkeit, regelmäßig um den Kompass kreisen, kann man unmöglich behaupten, das baskische Wetter sei berechenbar; denn in manchen Jahren gibt es drei bis vier solcher Zyklen, in anderen hingegen nur einen. Außerdem gibt es innerhalb des jeweils vorherrschenden Windes Unterschiede an Stärke und Dauer. Ja, manchmal durchläuft der Wind in einer einzigen Nacht einen ganzen Turnus, und am nächsten Morgen scheint es, als sei eine der dominanten Phasen übersprungen worden. Und es gibt jene ausgewogenen Perioden zwischen zwei Winden, in denen keiner stark genug ist, die Oberhand zu gewinnen. Dann sagen die Gebirgsbasken: »Heute haben wir kein Wetter.«
Und wenn es kein Wetter gibt, keine Windregung in den Bergen, dann kommt zuweilen der schöne Killer: das Whiteout. Dicke
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