Shibumi: Thriller (German Edition)
das ganze Haus wusste, dass Le Cagot von seinen Pflichten in Larrau zurückgekehrt war. »Also, wo ist das junge Mädchen mit dem üppigen Busen, von dem das ganze Tal redet? Bringt sie zu mir, auf dass sie ihrem Schicksal begegne!«
Hana erklärte ihm, die junge Dame ruhe sich aus, doch Nikolai arbeite in seinem japanischen Garten.
»Den will ich nicht sehen! Von dem habe ich in den letzten drei Tagen genug gehabt. Hat er dir schon von meiner Höhle erzählt? Ich musste deinen Nikolai praktisch hindurchschleppen. Es ist traurig, Hana, aber er wird langsam alt. Zeit, dass du an deine Zukunft denkst und dich nach einem alterslosen Mann umsiehst – vielleicht nach einem robusten baskischen Poeten?«
Lachend antwortete Hana, sein Bad werde in einer halben Stunde bereit sein. »Und du könntest dich ein bisschen feinmachen. Wir erwarten Gäste zum Dinner.«
»Aha, Publikum! Wunderbar. Na schön, dann hole ich mir meinen Wein in der Küche. Habt ihr noch diese junge Portugiesin?«
»Wir haben mehrere.«
»Dann werde ich ein paar Kostproben machen. Und warte nur, bis du mich in Gala siehst! Vor ein paar Monaten habe ich mir einen wirklich eleganten Anzug zugelegt, aber bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, ihn vorzuführen. Ein Blick auf mich in meinen neuen Kleidern, und du wirst dahinschmelzen wie Butter in der Sonne, bei den Eiern …«
Hana warf ihm einen Blick zu, und sofort befleißigte er sich einer dezenteren Ausdrucksweise.
»… bei der Ekstase der heiligen Therese. Na, dann will ich mich mal in die Küche verdrücken.« Türenschlagend und laut nach Wein rufend, stapfte Le Cagot davon.
Hana sah ihm lächelnd nach. Vom ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft an hatte er sie liebgewonnen, und seine polternde Art, ihr Komplimente zu machen, war Teil eines ständigen Sperrfeuers hyperbolischer Galanterie. Sie ihrerseits schätzte sein raues ehrliches Wesen und freute sich, dass Nikolai in diesem legendären Basken einen so treuen und unterhaltsamen Freund gefunden hatte. Sie sah tatsächlich eine legendäre Gestalt in ihm, einen Dichter, der für sich selbst eine exzentrische, romantische Rolle geschaffen hatte und nun den Rest seines Lebens damit verbrachte, sie zu spielen. Einmal hatte sie Hel gefragt, was wohl die Ursache dafür sei, dass der Barde sich mit dieser Fassade eines schelmischen Buffo panzern musste. Die Einzelheiten durfte Hel ihr nicht verraten, denn damit hätte er einen Vertrauensbruch begangen, obwohl Le Cagot selbst gar nicht wusste, dass er sich ihm anvertraut hatte, weil ihr Gespräch an einem Abend stattgefunden hatte, an dem der Poet in tiefe Trauer und Nostalgie versunken und darüber hinaus stockbetrunken gewesen war. Vor vielen Jahren war der sensible junge Mann, der später die Rolle des Le Cagot übernehmen sollte, Professor für baskische Literatur gewesen und hatte einen Lehrstuhl in Bilbao innegehabt. Er heiratete eine schöne und sanfte spanische Baskin, und sie bekamen ein Kind. Eines Abends nahm er ohne besonderes Engagement an einer Studentendemonstration gegen die Unterdrückung der baskischen Kultur teil. Seine Frau begleitete ihn, obwohl sie sich nicht für Politik interessierte. Die Guardia Civil sprengte die Demonstration mit Waffengewalt. Die junge Frau wurde erschossen. Le Cagot wurde verhaftet und verbrachte die nächsten drei Jahre im Gefängnis. Als ihm endlich die Flucht gelang, erfuhr er, dass sein Kind während seiner Haftzeit gestorben war. Der junge Mann begann zu trinken und beteiligte sich an sinnlosen und entsetzlich gewalttätigen Aktionen gegen die Regierung. Er wurde abermals verhaftet; er entkam wiederum, aber den jungen Gelehrten gab es nicht mehr. An seine Stelle war Le Cagot getreten, die unverwundbare Karikatur, Le Cagot, der durch seine patriotische Lyrik, seine Anteilnahme an der Sache der baskischen Separatisten und seine überlebensgroße Persönlichkeit zur Legende wurde. Den Namen, mit dem er seine selbst erschaffene Figur belegte, hatte er sich von den Cagots ausgeborgt, jenen Unberührbaren, die einst eine besondere Spielart des Christentums praktizierten, wodurch sie sich den Zorn und Hass ihrer baskischen Nachbarn zuzogen. Die Cagots suchten im Jahre 1514 mit einer Bittschrift an Papst Leo X. um Beistand gegen diese Verfolgungen nach. Der wurde ihnen zwar grundsätzlich gewährt, doch die Beschränkungen und Demütigungen, die sie ertragen mussten, gingen unverändert bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts weiter, als sie
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