Shibumi: Thriller (German Edition)
Hel wohl gelingen würde, durch den unterirdischen Fluss ans Tageslicht hinauszuschwimmen. Sobald diese Exkursion erfolgreich abgeschlossen war, sollte das Höhlensystem offiziell als entdeckt gemeldet werden. Und dann konnten sie endlich selbst hinabsteigen und – was noch wichtiger war – später ausführlich davon berichten.
Zweimal schob die Witwe Le Cagots Hand fort; dann hatte sie ihre Tugendhaftigkeit deutlich genug demonstriert und ließ ihn ihre breite Kehrseite tätscheln, während sie neben dem Tisch stehen blieb und dafür sorgte, dass sein Glas stets gefüllt war.
Kurz darauf öffnete sich im Hintergrund die Tür zur Toilette, und Pater Xavier betrat die niedrige Bar; seine Augen glänzten vom stärkenden Wein und der Ekstase des Fanatismus.
»Nun?«, wandte er sich an die jungen Basken. »Sitzt ihr jetzt schon mit diesem Ausländer und seinem unzüchtigen Freund zusammen? Trinkt ihren Wein und lauscht ihren Lügen?«
»Sie müssen sich heute Morgen aber einen reichlich großen Schluck von Seinem Blut genehmigt haben, Pater Esteka«, erwiderte Le Cagot. »Sie haben ja wirklich ein Quäntchen Courage geschluckt.«
Pater Xavier fauchte etwas Unverständliches vor sich hin und ließ sich an einem Tisch am anderen Ende des Raumes nieder.
»Holá!«, fuhr Le Cagot fort. »Wenn Ihr Mut gar so groß ist, warum kommen Sie dann nicht mit uns in die Berge hinauf, he? Wir werden in ein unergründliches Loch hinabsteigen, aus dem es keinen Ausgang gibt. Ein kleiner Vorgeschmack auf die Hölle für Sie – damit Sie sich daran gewöhnen.«
»Lass ihn«, ermahnte Hel den Freund leise. »Soll dieser lächerliche Bastard doch im eigenen Hass schmoren.«
»Gottes Auge ist überall!«, fauchte der Priester und funkelte Hel wütend an. »Seinem Zorn entgeht niemand.«
»Halt den Mund, Betschwester!«, sagte Le Cagot. »Sonst kriegst du meine makila dorthin, wo es dem Bischof peinlich wäre!«
Hel legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm. Dann tranken sie ihren Wein aus und gingen.
GOUFFRE PORTE-DE-LARRAU
Hel hockte auf der flachen Steinplatte, die ihr Basislager neben dem Geröllkegel begrenzte, und schaltete die Helmlampe ab, um die Batterien zu schonen. Er lauschte übers Feldtelefon auf Le Cagots niemals abreißenden Strom von Geplauder, Geschimpfe und Gesang, mit dem er beim Herabklettern die beiden jungen Basken oben an der Pedalwinde anfeuerte und unterhielt. Am unteren Ende des Korkenziehers machte er eine Atempause, bevor er sich in Le Cagots Höhle und hinunter in den Wasserfall abseilen ließ, wo er dann, sich ständig drehend, hängen bleiben musste, während die beiden Helfer oben das Seil abklemmten und die Trommeln auswechselten.
Nachdem er ihnen befohlen hatte, sich zu beeilen und ihn nicht ewig dort baumeln zu lassen wie Christus am Kreuz, wenn er nicht hinaufkommen und ihnen beträchtlichen körperlichen Schaden zufügen sollte, rief er: »Achtung, Niko – ich komme runter!«
»Ist ja auch die Richtung, in der die Schwerkraft wirkt«, bemerkte Hel, der Ausschau hielt nach dem Licht von Le Cagots Helmlampe, das durch den Nebel des Wasserfalls auftauchen musste.
Ein paar Meter unterhalb der Erweiterung des Schachtes zur Höhle wurde das Seil angehalten, und der Baske am Telefon erklärte, sie müssten jetzt die Trommeln auswechseln.
»Beeilt euch ein bisschen!«, forderte Le Cagot. »Diese eiskalte Dusche tut meiner Männlichkeit Abbruch.«
Hel dachte gerade über das Problem nach, wie sie die schwere Pressluftflasche bis in den Weinkeller am Ende des Höhlensystems schaffen sollten, und war froh, dass er sich dabei auf Le Cagots Stierkräfte verlassen konnte, als ein erstickter Ruf durch die Telefonleitung kam. Gleich darauf ertönte ein scharfer Knall. Seine erste Reaktion war der Gedanke, es müsse etwas gerissen sein. Ein Seil? Das Dreibein? Instinktiv versteifte sich sein Körper in kinästhetischem Mitgefühl für Le Cagot. Zwei weitere kurze Explosionen. Schüsse!
Dann Stille.
Hel sah, durch die Gischt des Wasserfalls verzerrt, Le Cagots Lampe jedes Mal aufblitzen, wenn sich der Freund langsam am Ende des Seils drehte.
»Was zum Teufel ist da los?«, erkundigte sich Le Cagot durchs Telefon.
»Keine Ahnung.«
Jetzt kam eine dünne, ferne Stimme über den Draht. »Ich habe Sie gewarnt, Mr. Hel. Ich habe Ihnen geraten, sich aus dieser Sache rauszuhalten.«
»Diamond?«, fragte Hel überflüssigerweise.
»Ganz recht. Der Kaufmann. Der, der es nicht wagen würde, Ihnen Auge
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