Shibumi: Thriller (German Edition)
zu Boden sinken, während er in zitternden Zügen ein- und dann so tief ausatmete, dass es in seiner Lunge stach und er husten musste. Trotz der feuchten Kälte in der Höhle rann ihm der Schweiß aus den Haaren. Er kreuzte die Arme vor der Brust und betastete vorsichtig die wunden Striemen auf seinen Schultern, wo die Pressluftflasche trotz der drei Pullover unter dem Fallschirmspringeranzug die Haut aufgescheuert hatte. Eine Pressluftflasche ist eine unbequeme Last bei engen Durchgängen und schwierigen Kletterpartien. Zurrt man sie fest, behindert sie die Bewegungen und lässt Arme und Finger absterben; sitzt sie zu lose, scheuert sie die Haut auf, schwingt hin und her und stört auf gefährliche Weise das Gleichgewicht.
Als sein Atem wieder ruhig ging, trank er einen großen Schluck mit Wasser verdünnten Wein aus seinem xahako, dann streckte er sich auf einer Felsplatte aus, ohne erst den Helm abzunehmen. Er hatte so wenig Gepäck wie möglich: die Pressluftflasche, so viel Seil, wie er tragen konnte, den nötigsten Vorrat an Eisenhaken, zwei Fackeln, seinen xahako, die Tauchermaske in einem gummierten Beutel, der außerdem eine wasserdichte Stablampe enthielt, und eine Tüte Traubenzuckerwürfel für schnelle Energiezufuhr. Doch selbst diese allernotwendigste Last war für seinen Körper zu viel. Er war es gewöhnt, unbeschwert durch Höhlen zu klettern, frei zu führen und sich mit möglichst wenigen Dingen zu belasten, während der bärenstarke Le Cagot den Großteil ihrer Ausrüstung schleppte. Jetzt fehlte ihm die Kraft des Freundes; und es fehlte ihm die emotionale Unterstützung durch den ununterbrochenen Fluss seiner Späße, Schimpfkanonaden und Lieder.
Jetzt war er ganz allein. Seine Kraftreserven waren verbraucht, seine Hände zerfetzt und steif. Der Gedanke an Schlaf war köstlich, verführerisch … tödlich. Wenn er einschlief, das wusste er, würde die Kälte in ihn hineinkriechen, die angenehme narkotisierende Kälte. Nur nicht einschlafen! Schlaf ist Tod. Ausruhen, aber ohne die Augen zu schließen. Die Augen schließen, aber ohne einzuschlafen. Nein! Nur nicht die Augen schließen! Seine Brauen stiegen empor, so sehr strengte er sich an, die Lider nicht über die müden Augen sinken zu lassen. Nicht einschlafen! Nur einen Moment ausruhen. Nicht einschlafen. Nur einen Moment die Augen schließen. Nur die Augen … schließen …
Er hatte Le Cagot neben dem Geröllhaufen liegen lassen, wo er gestorben war. Es war nicht nötig, ihn zu begraben; die ganze Höhle würde nun, da Diamonds Leute Steine über die Öffnung gewälzt hatten, ein riesiges Mausoleum sein. Le Cagot würde auf ewig im Herzen seiner baskischen Berge ruhen.
Als das Blut endlich zu fließen aufhörte, hatte Hel ihm sanft das Gesicht abgewischt und ihn mit einem Schlafsack zugedeckt.
Anschließend hatte er sich neben den Leichnam gehockt, sich in eine mitteltiefe Meditation zu versenken und seine aufgewühlten Gefühle zu bezähmen gesucht. Er hatte zwar nur flüchtige Sekunden inneren Friedens erreicht, doch als er sich in die Gegenwart zurückholte, war er frisch genug, um seine Situation zu überdenken. Die Entscheidung fiel nicht schwer; eine Alternative gab es nicht. Die Chance, dass er es allein und viel zu schwer bepackt diesen langen Schacht entlang, um Hels Felsnase herum, durch das Gewirr der Steigenden Höhle, durch den Wasserfall bis in die Kristallhöhle, dann diese ekelhafte Mergelrinne hinunter bis in den Weinkeller schaffte – die Chance, dass er all diese Hindernisse ohne Le Cagots Sicherung und Hilfe überwinden konnte, war gering. Aber es war eine Art Pascalscher Wette. So gering die Chance auch war, seine einzige Hoffnung lag in diesem Versuch. Er würde jetzt noch keinen Gedanken an die Aufgabe verschwenden, durch das Schlundloch am Grund des Weinkellers schwimmen zu müssen, diesen Abfluss, durch den das Wasser mit solcher Wucht schoss, dass es die Oberfläche des Teiches glättete und in eine leichte Krümmung zog. Er würde ein Problem nach dem anderen angehen.
Die Überwindung von Hels Felsnase hätte seinem Unternehmen beinahe ein Ende gesetzt. Er hatte ein Seil an die Pressluftflasche geknüpft und sie vorsichtig auf den schmalen Sims gelegt, der parallel zu dem durch den keilförmigen Einschnitt dahinströmenden Fluss verlief; dann war er die Felsnase mit einem anstrengenden Absatz-Schulter-Stemmschluss angegangen, hatte sich fast in voller Länge zurückgelegt, die Knie vor Anstrengung zitternd,
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