Shibumi: Thriller (German Edition)
machen, wie sich die Westler dir gegenüber verhalten werden, wenn sie kommen. Doch am meisten sind wir besorgt wegen deines Verhaltens ihnen gegenüber. Du bist ein zu unserer Kultur Bekehrter und besitzt den typischen Fanatismus der Konvertiten. Das ist einer deiner Charakterfehler. Und solche Fehler führen zu …« Otake-san zuckte mit den Achseln.
Nikolai nickte, senkte den Blick und wartete geduldig, bis ihn sein alter Lehrer entließ.
Nach kurzem Schweigen nahm Otake-san ein weiteres Pfefferminzbonbon und sagte. »Soll ich dir ein großes Geheimnis verraten, Nikko? All die Jahre lang habe ich den Leuten erklärt, ich nähme diese Pfefferminzdrops, um meine Magenschmerzen zu lindern. Die Wahrheit ist, sie schmecken mir einfach. Nur ist es würdelos für einen Erwachsenen, in der Öffentlichkeit Bonbons zu lutschen.«
»Ohne shibumi, Meister.«
»Ganz recht.« Otake-san schien einen Moment zu träumen. »Ja. Vielleicht hast du Recht. Vielleicht ist der Bergnebel wirklich ungesund. Aber er verleiht dem Garten eine melancholische Schönheit, und dafür sollten wir ihm dankbar sein.«
Nach der Einäscherung wurden Otake-sans letzte Verfügungen für Familie und Schüler in die Tat umgesetzt. Die Familie suchte ihre Habseligkeiten zusammen, um zu Otakes Bruder zu ziehen. Die Schüler kehrten nach Hause zurück. Nikolai, jetzt über zwanzig, obwohl er höchstens wie fünfzehn aussah, wurde das Geld ausgehändigt, das General Kishikawa für ihn hinterlegt hatte, und ihm wurde bedeutet, er dürfe darüber nach eigenem Gutdünken verfügen. Dabei empfand er jenes aufregende Schwindelgefühl, das absolute Freiheit im Zusammenspiel mit Ziellosigkeit bewirkt.
Am 3. August 1945 hatte sich der gesamte Otake-Haushalt mit Kisten und Kasten auf dem Bahnsteig versammelt. Nikolai hatte weder Zeit noch Gelegenheit, Mariko zu sagen, was er für sie empfand. Doch es gelang ihm, eine besondere Betonung und Zärtlichkeit in sein Versprechen zu legen, sie so bald wie möglich zu besuchen, wenn er erst einmal in Tokio Fuß gefasst hatte. Er freute sich auf diesen Besuch, denn Mariko hatte ihm oft begeistert von ihrer Familie und ihren Freunden erzählt – von ihrem Zuhause in ihrer Heimatstadt Hiroshima.
WASHINGTON
Der Erste Assistent schob seinen Stuhl vom Computer zurück und schüttelte den Kopf. »Da gibt’s nicht viele Ansatzpunkte, Sir. Fat Boy hat nichts Definitives über Hel vor seiner Ankunft in Tokio.« Der Ton des Ersten Assistenten verriet Verärgerung; er war entrüstet über Menschen, deren Leben so zwielichtig oder ereignislos verlief, dass es Fat Boy keine Gelegenheit gab, seine Fähigkeit, alles zu wissen und alles aufzudecken, zu demonstrieren.
»Hm«, knurrte Mr. Diamond geistesabwesend, während er fortfuhr, sich Notizen zu machen. »Keine Sorge, von jetzt an werden die Daten eimerweise kommen. Hel arbeitete kurz nach dem Krieg für die Besatzungsmacht, und von da an blieb er mehr oder weniger im Blickfeld unserer Beobachter.«
»Sind Sie sicher, dass Sie diese Sondierung wirklich brauchen, Sir? Sie scheinen doch schon alles über ihn zu wissen.«
»Eine Wiederholung kann nie schaden. Hören Sie, mir ist da gerade etwas eingefallen. Alles, was für uns bisher auf einen Zusammenhang zwischen Nikolai Hel und den Munich Five mit Hannah Stern hindeutet, ist eine Verbindung ersten Grades zwischen Hel und dem Onkel. Vergewissern wir uns doch mal, dass wir keinem Phantom nachjagen. Fragen Sie Fat Boy, wo Hel jetzt steckt.« Er drückte auf einen Summer an der Seite seines Schreibtisches.
»Jawohl, Sir«, antwortete der Erste Assistent und wandte sich wieder seinem Rechner zu.
Auf Diamonds Signal hin erschien Miss Swivven. »Sir?«
»Zweierlei. Erstens: Besorgen Sie mir sämtliche greifbaren Fotos von Hel, Nikolai Alexandrowitsch. Llewellyn wird Ihnen den ID -Code seiner violetten Karte geben. Zweitens: Setzen Sie sich mit Mr. Able von der OPEC -Interessengruppe in Verbindung und bitten Sie ihn, so bald wie möglich herzukommen. Wenn er eintrifft, bringen Sie ihn zu mir, zusammen mit dem Deputy und diesen beiden Idioten, die den Schlamassel angerichtet haben. Sie werden die drei herunterbegleiten müssen; sie haben keinen Zutritt zum fünfzehnten Stock.«
»Jawohl, Sir.« Beim Hinausgehen zog Miss Swivven die Tür zum Druckerraum ein wenig zu fest ins Schloss. Mr. Diamond blickte auf und fragte sich, was zum Teufel wohl in sie gefahren sein mochte.
Fat Boy reagierte auf die Befragung; seine Antwort lief
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