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Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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– leben konnte und mit den Abendländern lediglich während der vierzig Wochenstunden in Kontakt zu kommen brauchte, in denen er seinen Lebensunterhalt verdiente. Seine Lebensführung war dank seines relativ hohen Gehalts und vor allem dank seines Zugangs zum Warenangebot der amerikanischen »Post Exchanges« und »Commissaries« nach japanischen Maßstäben wahrhaft luxuriös. Vor allem aber war Nikolai inzwischen im Besitz jener wichtigsten aller menschlichen Kostbarkeiten: er hatte Personalpapiere. Er verdankte sie einer augenzwinkernden kleinen Verschwörung zwischen Miss Goodbody und einigen ihrer Freunde bei der Behörde. Nikolai besaß jetzt einen Ausweis, der ihn als Zivilangestellten der Amerikaner kennzeichnete, und einen zweiten, der ihm die russische Staatsangehörigkeit bescheinigte. In dem höchst unwahrscheinlichen Fall, dass er von amerikanischer Militärpolizei angehalten wurde, konnte er seinen russischen Ausweis vorzeigen; bei allen anderen neugierigen Völkerschaften den amerikanischen. Das Verhältnis zwischen den Russen und den Amerikanern war auf Misstrauen und gegenseitiger Angst gegründet, und sie vermieden es ebenso sorgfältig, sich wegen Belanglosigkeiten mit den Staatsangehörigen der anderen Seite anzulegen, wie ein Mann, der die Straße überqueren will, um eine Bank auszurauben, es vermeiden würde, bei Rot über die Ampel zu gehen.
    Im Verlauf des folgenden Jahres wurden Nikolais Leben und Arbeit abwechslungsreicher. Was seine Arbeit anging, so beauftragte man ihn manchmal damit, in der kryptographischen Abteilung Sphinx/ FE auszuhelfen, bevor dieser Geheimdienst von der unersättlichen neuen bürokratischen Nebenregierung, der CIA , geschluckt wurde. Eines Tages konnte dort eine dechiffrierte Nachricht nicht ins Englische übersetzt werden, weil das Russisch, in das man sie übertragen hatte, sich als blühender Unsinn entpuppte. Nikolai bat, das ursprüngliche Kryptogramm einsehen zu dürfen. Dank seiner Neigung zur reinen Mathematik, seiner beim Go-Training entwickelten und geförderten Fähigkeit, in abstrakten Permutationen zu denken, und seiner Versiertheit in sechs Sprachen gelang es ihm relativ schnell, die Dechiffrierfehler aufzuspüren. Er fand heraus, dass die ursprüngliche Nachricht falsch verschlüsselt worden war, und zwar von jemandem, der ein gestelztes Russisch schrieb, das – seltsam genug – dem chinesischen Satzbau folgte, wodurch eine Nachricht herausgekommen war, die die komplizierten Dechiffriermaschinen der Sphinx/ FE in Verwirrung stürzte. Nikolai hatte Chinesen gekannt, die ihr gebrochenes Russisch auf ebendiese gestelzte Manier sprachen, daher konnte er, sobald er den Code hatte, den Inhalt der Mitteilung mühelos enträtseln. Aber die Kryptographen mit ihrer Buchhaltermentalität waren beeindruckt, und Nikolai galt von nun an als »Wunderknabe«, denn die meisten seiner Arbeitskollegen hielten ihn immer noch für ein halbes Kind.
    Bald wurde Nikolai ganz zur Sphinx/ FE versetzt, stieg sowohl im Rang als auch im Gehalt um eine Stufe höher und durfte seine Tage in einem winzigen abgelegenen Büro verbringen, wo er sich mit dem Spiel amüsierte, Nachrichten zu decodieren und zu übersetzen, die ihn nicht im Geringsten interessierten.
    Mit der Zeit und sehr zu seiner eigenen Überraschung gelangte Nikolai zu einer Art emotionalem Waffenstillstand mit den Amerikanern, mit denen er zusammenarbeitete. Das bedeutete nicht, dass er sie mögen oder ihnen vertrauen lernte; aber er merkte, dass sie nicht die amoralischen, verderbten Menschen waren, die sie ihrem politischen und militärischen Verhalten nach zu sein schienen. Gewiss, sie waren kulturell unreif, unüberlegt und ungeschickt, sie waren materialistisch und historisch kurzsichtig, laut, aufdringlich und im gesellschaftlichen Umgang unendlich ermüdend; im Innern jedoch waren sie gutherzig und gastfreundlich, jederzeit bereit, ja sogar fest entschlossen, ihren Reichtum und ihre Ideologie mit der ganzen Welt zu teilen.
    Vor allem kam er zu der Erkenntnis, dass alle Amerikaner Kaufleute waren, dass der Kern des vielzitierten amerikanischen Genius, des »Yankee Spirit«, das Kaufen und Verkaufen war. Sie gingen mit ihrer demokratischen Ideologie regelrecht hausieren, und der gewaltige Druck der Rüstungsabkommen und Wirtschaftspressionen unterstützte sie dabei. Ihre Kriege waren überdimensionale Übungen in Produktion und Versorgung. Ihr Regierungssystem bestand aus einer Kette von Sozialverträgen.

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