Shibumi: Thriller (German Edition)
wenigstens fünf?«
»So geht das nicht, Nikolai. Selbst wenn wir eine Möglichkeit finden, dieses Formular auszufüllen, wird es noch zehn Tage dauern, bis es alle zuständigen Stellen durchlaufen hat.« Nikolai spürte, wie seine Hoffnung sank. Er war noch zu unerfahren, um zu wissen, dass die feingesponnenen Netze der Bürokratie so unauflösbar waren wie das Pflaster, das er tagtäglich trat. »Dann bekomme ich mein Geld also nicht?«, fragte er tonlos.
Miss Goodbody zuckte mit den Achseln und stand auf. »Tut mir leid, aber … Hören Sie zu. Ich habe jetzt Mittagspause. Kommen Sie mit mir in die Angestellten-Cafeteria. Dort essen wir erst mal einen Happen, und dann überlegen wir, was wir tun können.«
Sie lächelte Nikolai zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wollen wir?«
Nikolai nickte.
Die nächsten drei Monate, bis Miss Goodbody in die Vereinigten Staaten zurückversetzt wurde, blieben ihr für immer aufregend und strahlend in Erinnerung. Nikolai war fast wie das Kind, das sie nie gehabt hatte, und er war gleichzeitig ihr einziges länger andauerndes Verhältnis. Sie wagte es nie, die komplexen Gefühle, die während dieser Monate in ihrem Verstand und ihrem Körper prickelten, zu diskutieren oder auch nur in Gedanken zu analysieren. Ohne Zweifel genoss sie es, dass Nikolai sie brauchte, genoss sie die Sicherheit seiner Abhängigkeit von ihr. Außerdem war sie von Natur aus ein guter Mensch, der gern jemandem half, der ihrer Hilfe bedurfte. Und in ihre sexuelle Beziehung spielte ein Kitzel köstlich empfundener Scham hinein, erwachsen aus der Pikanterie, gleichzeitig Mutter und Geliebte zu sein, ein zu Kopf steigendes Gebräu aus Zuneigung und Sünde.
Nikolai bekam seine zehn Dollar nicht; das Problem, einen Beleg ohne Ausweisnummer zu bearbeiten, erwies sich sogar für Miss Goodbodys über zwanzigjährige Erfahrung mit der Bürokratie als zu schwierig. Doch es gelang ihr, Nikolai dem Leiter des Übersetzungsbüros vorzustellen, und binnen einer Woche arbeitete er acht Stunden am Tag, übersetzte Dokumente oder wohnte endlosen Konferenzen bei, wo er in zwei bis drei Sprachen die wortreichen und vorsichtigen Erklärungen wiederholte, die die Vertreter der Besatzungsmächte in der Öffentlichkeit abzugeben wagten. Dabei lernte er, dass die Kommunikation in der Diplomatie in erster Linie die Aufgabe hat, Sinngehalte zu verschleiern.
Sein Verhältnis zu Miss Goodbody war freundschaftlich und von Höflichkeit geprägt. Sobald er konnte, erstattete er ihr trotz ihres Protestes die Auslagen für seine Kleidung und Toilettenartikel zurück und bestand darauf, einen Teil der gemeinsamen Lebenskosten zu übernehmen. So gern, dass er ihr etwas schulden wollte, mochte er sie nun auch wieder nicht. Das sollte nicht heißen, dass er sie überhaupt nicht mochte – sie war kein Mensch, den man nicht mögen konnte; sie weckte einfach nicht derart intensive Gefühle. Zuweilen war ihr sinnloses Geplapper störend und ihre übertriebene Fürsorge lästig; aber sie gab sich, wenn auch recht ungeschickt, so große Mühe, Rücksicht zu nehmen, und war so tränenreich dankbar für ihre sexuellen Erlebnisse, dass er sie mit aufrichtiger Zuneigung duldete, mit einer Zuneigung, wie man sie für ein tollpatschiges Schoßhündchen empfindet.
Nikolai litt im Zusammenleben mit Miss Goodbody nur unter einem einzigen größeren Problem. Wegen des hohen Anteils an tierischen Fetten in ihrer Nahrung haben Abendländer eine leicht unangenehme Ausdünstung an sich, die den Geruchssinn der Japaner verletzt und ihre Leidenschaft spürbar dämpft. Bis Nikolai sich daran gewöhnt hatte, fiel es ihm schwer, in sexuelle Erregung zu geraten, und es dauerte ziemlich lange, bis er den Höhepunkt erreichte. Gewiss, Miss Goodbody hatte empirisch gesehen nur Vorteile von diesem ihr unbewussten Makel; da sie jedoch kaum Vergleichsmöglichkeiten besaß, betrachtete sie Nikolais sexuelle Ausdauer als ganz normal. Ermutigt durch ihre Erfahrungen mit ihm, stürzte sie sich nach ihrer Rückkehr in die Vereinigten Staaten in mehrere kurzlebige Affären, die aber alle relativ enttäuschend verliefen. Zuletzt wurde sie die »große, alte Dame« der Frauenbewegung.
Nicht ganz ohne Erleichterung sah Nikolai Miss Goodbodys Schiff die Anker lichten und zog aus der ihr zugewiesenen Wohnung in ein Haus um, das er sich im Asakusa-Viertel im Nordwesten Tokios gemietet hatte; ein eher altmodisches Logis, wo er in verborgener Eleganz – beinahe shibumi
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