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Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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Volksweisheiten lautete Zahar hitzak, zuhur hitzak und wurde übersetzt mit »Alte Sprüche sind weise Sprüche«. Sein unzulängliches Lexikon lieferte ihm nur das Wort zahar mit der Bedeutung »alt«. Und so lauteten die ersten Notizen für seine kleine Amateurgrammatik:
    Zuhur = weise.
    Plural im Baskischen entweder »ak« oder »zak«.
    Wurzel für »Sprichwörter/Redensarten/Sprüche« entweder »hit« oder »hitz.«
    Merke: Verb »sagen/sprechen« vermutlich auf dieser Wurzel aufgebaut. Merke: Parallele Strukturen erfordern möglicherweise kein einfaches Verb des Seins.
    Aus diesen mageren Anfängen konstruierte Nikolai eine Grammatik der baskischen Sprache – Wort um Wort, Begriff um Begriff, Struktur um Struktur. Von vornherein zwang er sich, jedes Wort, das er lernte, laut auszusprechen, um es in seinem Verstand zum Leben zu erwecken. Da er keine Anleitung hatte, unterliefen ihm dabei Fehler, die sein gesprochenes Baskisch für immer kennzeichnen sollten – sehr zum Vergnügen seiner baskischen Freunde. So dachte er sich zum Beispiel, das h müsse stumm sein wie im Französischen. Außerdem musste er zwischen mehreren Möglichkeiten entscheiden, wie das baskische x auszusprechen sei. Wie ein z, wie ein sch, ein tch oder wie ein gutturales deutsches ch. Willkürlich wählte er das letztere. Falsch, wie er später zu seinem Bedauern feststellen sollte.
    Sein Leben war jetzt ausgefüllt, ja übervoll mit Beschäftigungen, die er abbrechen musste, ehe er ihrer müde wurde. Der Tag begann mit dem Frühstück und dem Waschen mit kaltem Wasser. Nachdem er seine überschüssige Kraft mit isometrischen Übungen verbraucht hatte, gestattete er sich eine halbe Stunde halbtiefer Meditation. Dann Studium des Baskischen bis zur Abendmahlzeit, dann wieder Gymnastik, bis der Körper ausgepumpt und müde war. Anschließend eine halbe Stunde Meditation. Dann Schlaf.
    Seine Spaziergänge zweimal die Woche draußen auf dem schmalen Hof zweigte er von der Zeit für das Studium des Baskischen ab. Und jeden Tag, wenn er aß oder Gymnastik trieb, führte er in einer der von ihm beherrschten Sprachen Selbstgespräche, um sie frisch und einsatzbereit zu halten. Da es genau sieben Sprachen waren, wies er jeder von ihnen einen Wochentag zu, so dass sein persönlicher Kalender lautete: Monday, вторник , lai-bai-sam, jeudi, Freitag, Larunbat und Nitiyoo-bi.
    Das wichtigste Ereignis in den Jahren von Nikolai Hels Isolierhaft war die Ausbildung seines Proximitätssinnes.
    Diese Entwicklung erfolgte ganz ohne sein Zutun, ja in den Anfangsstadien sogar ohne dass er es bemerkte. Erforscher paranormaler Wahrnehmungsphänomene vermuten, der Proximitätssinn sei zu Beginn der Entwicklung des Menschen ebenso stark und allgemein verbreitet gewesen wie die übrigen fünf Sinne, sei jedoch durch Nichtgebrauch allmählich abgestumpft, als sich der Mensch über seine ursprüngliche Jägerexistenz hinausentwickelte. Außerdem beruhte die extraphysische Natur dieses »sechsten Sinns« auf gewissen Energien des Zentralcortex, die der rationalen Logik diametral entgegengesetzt sind, der Logik, deren Art des Verständnisses und des Arrangierens von Erlebnissen letztlich das Menschentier kennzeichnen sollte. Gewiss, bestimmte primitive Kulturen bewahren immer noch rudimentäre Proximitätsfähigkeiten, und auch kultivierte Menschen empfangen gelegentlich Impulse von den verkümmerten Resten ihres Proximitätssystems, empfinden ein gewisses Prickeln, wenn man sie von hinten anstarrt oder an sie denkt, haben wohl auch ein unbestimmtes, verschwommenes Gefühl des Wohlbefindens oder des Verhängnisses; doch das sind flüchtige, unklare Gefühle, die man achselzuckend abtut, weil sie im Rahmen prosaischer, logischer Weltanschauung nicht verstanden werden und nicht verstanden werden können und weil man, wollte man sie akzeptieren, die äußerst bequeme Überzeugung aufgeben müsste, dass alle Phänomene sich stets im Bereich des Rationalen bewegen.
    Gelegentlich und unter Umständen, die nur zum Teil erforscht sind, entwickelt sich der Proximitätssinn auch bei einem modernen Menschen zur vollen Blüte. In mancher Hinsicht war Nikolai Hel typisch für jene wenigen, die ein voll ausgebildetes Proximitätssystem besitzen. Sein ganzes Leben war in geistigen und nach innen gerichteten Bahnen verlaufen. Er war ein Mystiker gewesen und hatte ekstatische Entrückungen erlebt, empfand daher also keine Scheu vor dem Extralogischen. Das Go-Spiel hatte seinen

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