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Shimmer

Shimmer

Titel: Shimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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hatten schon öfter schockierte und trauernde Menschen gesehen, als sie sich erinnern konnten; doch es war immer noch so schwer wie beim ersten Mal.
    »Ich habe Sanjivs Namen auf einer dieser Webseiten gefunden«, sagte Martinez später zu Sam, als sie wieder in ihren Chevy Impala stiegen. »Er bedeutet ›Leben‹.«
    »Ich habe auch im Internet gesucht«, entgegnete Sam, »nur stand bei mir ›Wiederbeleben‹.«
    »Die Adanis scheinen nette Leute zu sein«, bemerkte Martinez.
    Sie hatten es nicht eilig, Sanjivs Mutter kennen zu lernen.

26
     
    Mildred schickte eine weitere SMS. Es gefiel ihr, dass sie so geschickt darin war.
    Schatten einer längst vergangenen Zeit.
    Eines anderen Lebens.
    Hier draußen ist alles in Ordnung, Samuel. Passen Sie auf sich auf. Herliche Grüße, Mildred.
    Nach längerem Nachdenken hatte sie sich entschieden, den Mann aus der vergangenen Nacht nicht zu erwähnen.
    Vermutlich hatte sie sich das alles nur eingebildet; sie war ja nicht mehr die Jüngste. Außerdem konnte das der Polizei sowieso nicht helfen ... und Mildred wollte auf gar keinen Fall, dass es so aussah, als suche sie verzweifelt nach Aufmerksamkeit.
    »Das ist nicht mein Stil«, sagte sie zu Donny.
    Und Detective Samuel Becket musste sich schon über mehr als genug Probleme den Kopf zerbrechen.

27
     
    Das Haus der Adanis an der Carlyle Avenue in Surfside war mit roten Ziegeln gedeckt und hatte pfirsichfarbene Fensterläden. Alles war gut gepflegt. Ein typisches, gemütliches amerikanisches Eigenheim.
    Im Innern jedoch herrschte düstere Trauerstimmung.
    Barun Adani, der die beiden Detectives hereingelassen hatte, führte sie ins Wohnzimmer und stellte sie seinen Eltern vor. Sanjula Adani trug einen weißen Sari. Sie saß neben ihrem Mann auf einer smaragdgrünen Couch inmitten eines altmodisch anmutenden Zimmers voller Fotos und kleiner indischer Gemälde an den Wänden. Zwei kleine, funkelnde Deckenleuchter spendeten Licht. Die Adanis gaben sich alle Mühe, Würde zu bewahren, doch geistig waren sie kaum anwesend, wie Sam und Martinez bemerkten.
    »Ich habe gerade Tee für meine Eltern gemacht.« Anjika, die Tochter, trug ein weißes T-Shirt und Jeans und kam mit einem Tablett herein. »Möchten Sie welchen?«
    »Anji ...«, sagte Barun in tadelndem Tonfall.
    Seine Schwester verdrehte genervt ihre rot unterlaufenen Augen. »Mein Bruder hat mich soeben daran erinnert«, sagte sie, »dass Hindus während der Trauerzeit ihren Gästen nichts anbieten.«
    »Ist schon in Ordnung«, sagte ihr Vater. »Mach nur, Anjika.«
    »Nicht nötig, vielen Dank«, sagte Sam.
    »Für mich auch nichts, danke«, fügte Martinez hinzu.
    Barun winkte die Besucher auf den Flur hinaus. »Ich wäre Ihnen sehr verbunden«, sagte er leise, »wenn Sie nur mir Fragen stellen. Ist das möglich?«
    »Wir können es versuchen«, erwiderte Sam.
    Sie gingen in die Küche, die viel benutzt aussah und in der es nach Gewürzen roch. Barun bat die Besucher, an einem weiß gedeckten Tisch Platz zu nehmen.
    »Wie Sie sich bestimmt vorstellen können, ist das alles zu viel für unsere Mutter«, sagte er. »Und Vater ...« Ihm brach die Stimme, und er musste sich räuspern. »Sanjiv war schwul, was ich nur für den Fall erwähne, dass es für Ihre Ermittlungen von Bedeutung ist. Aber unser Vater hat das immer geleugnet. Er wird Sie zwar nicht anlügen, wenn Sie ihm Fragen über den Lebenswandel meines Bruders stellen, aber die Wahrheit würden Sie auch nicht von ihm zu hören bekommen, verstehen Sie?«
    »Ja«, antwortete Sam. »Danke, dass Sie es uns gesagt haben.«
    »Glauben Sie denn, das der ›Lebensstil‹ Ihres Bruders von Bedeutung ist?«, fragte Martinez.
    »Ich habe keine Ahnung«, antwortete Barun Adani, »aber man liest ja oft von solchen Dingen.«
    »Ja«, bestätigte Sam, »das stimmt.«
    »Mit unserer Mutter ist es anders«, fuhr Barun fort. »Sie wollte uns alle immer nur glücklich sehen, auch wenn sie traurig war, dass Sanjiv ihr nie Enkel schenken würde ... und ich glaube, sie hat auch ein bisschen Angst um ihn gehabt.« Er schüttelte den Kopf. »Allerdings nicht vor so etwas. Niemals.«
    Sam beobachtete, wie Barun nach und nach die Fassung verlor, auch wenn der kultivierte junge Mann versuchte, der Verantwortung für seine Familie wegen durchzuhalten. Sam hatte Mitleid mit ihm und stellte sich vor, was in den kommenden Jahren alles auf Baruns Schultern geladen werden würde. Vor allem die Eltern würden ihn brauchen – und das nicht nur,

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