Shining Girls (German Edition)
Schnauze konzentriert zusammengepresst. Er dreht sich um und rast hinter dem Ball her, berechnet seine Flugbahn mit mathematischer Präzision und schnappt ihn sich beim Herunterkommen aus der Luft.
Und jetzt folgt das, was sie irre macht. Wenn er sie nämlich mit dem Ball foppt. Wenn er vorwärts springt, als wollte er ihr den Ball in die Hand fallen lassen, nur um sich mit einem freudigen Grollen in der Kehle seitwärts wegzuducken, wenn sie danach greift.
«Hund! Ich warne dich.»
Tokyo kauert sich auf den Bauch, den Hintern in der Luft, und wedelt mit dem Schwanz. «Owwwrrr», macht er noch einmal.
«Gib mir den Ball, oder ich … verarbeite dich zu einem Teppichvorleger.» Sie täuscht einen Vorstoß in seine Richtung an, aber er springt zwei Schritte zur Seite, gerade eben außer Reichweite, und ist wieder im Vorteil. Sein Schwanz wedelt wie wild.
«Das ist schwer in Mode, weißt du», sagt sie und schlendert den Strand entlang. Die Daumen in die Taschen ihrer Jeans eingehakt, macht sie einen auf cool, als hätte sie ganz und gar keinen Angriff auf ihn vor. «Eisbär- und Tigerfelle sind so was von out. Aber ein Hundefellvorleger – ganz besonders, wenn es ein nerviger Hund war. Das ist richtig exklusiv, Baby.»
Sie stürzt sich auf ihn, aber er ist ihr schon längst auf die Schliche gekommen. Er kläfft begeistert, der Ton ist etwas von dem Ball gedämpft, den er zwischen den Zähnen hat, und jagt am Strand entlang. Kirby landet auf einem Knie im feuchten Sand, während er mit einem so breiten Hundegrinsen durch den Wellensaum springt, dass sie es sogar von hier aus sehen kann.
«Nein! Böser Hund! Tokyo Speedracer Mazrachi! Du kommst jetzt hierher, sofort!» Er hört nicht. Das tut er nie. Nasser Hund im Auto. Das gehört zu den Dingen, die sie am allermeisten liebt.
«Komm schon, Junge.» Sie pfeift nach ihm, fünf scharfe Töne. Er gehorcht – mehr oder weniger. Er watet zumindest aus dem Wasser und lässt den Ball auf den hellen Sand fallen, bevor er sich ausschüttelt wie ein Hunde-Sprinkler. Er bellt einmal fröhlich, will immer noch spielen.
«Ach zum Teufel», sagt Kirby, als ihre violetten Turnschuhe im nassen Sand einsinken. «Wenn ich dich kriege, kannst …»
Unvermittelt zuckt Tokyos Kopf in die andere Richtung. Er bellt einmal und flitzt über das Gras beim Landesteg.
Am Ufer steht ein Mann in gelber Anglermontur, neben sich eine Karrenkonstruktion mit einem Eimer und einem Feuerlöscher. Eine bizarre Angeltechnik, wie Kirby begreift, als der Mann sein Senkblei in eine Metallröhre steckt und dann den Druck des Feuerlöschers nutzt, um es so weit auf den See hinauszuschießen, wie er es niemals hätte auswerfen können.
«Hey! Keine Hunde!», ruft er freundlich und deutet auf ein Schild in dem wuchernden Gras. Als wäre das, was er da mit dem Feuerlöscher treibt, ausdrücklich erlaubt.
«Nein? Echt nicht? Nun, es wird Sie freuen zu hören, dass das hier kein Hund ist, sondern ein künftiger Teppichvorleger!» Ihre Mutter nennt das ihr Sarkasmus-Kraftfeld, mit dem sie seit 1984 die Jungs in Schach hält – wenn sie wüsste. Kirby hebt den zerkauten Tennisball auf und steckt ihn in die Tasche. Verdammter Hund.
Sie wird froh sein, wenn sie endlich ins Studentenwohnheim ziehen kann, denkt sie grimmig. Der Nachbarsjunge kann gern den Hund haben. Sie wird die Wochenenden übernehmen, wenn sie Zeit hat – und Lust. Aber wer weiß? Vielleicht bleibt sie in der Bibliothek hängen. Vielleicht ist sie verkatert. Oder hat einen heißen Knaben bis zum halb wonnigen, halb unbehaglichen Frühstück danach zu Gast, jetzt, wo Fred auf die Filmschule nach New York gegangen ist, als wäre das nicht
ihr Traum
, den er sich irgendwie gekrallt hat und den sie selbst, das ist das Schlimmste daran, nicht verwirklichen kann, weil sie nicht genug Geld hat. Selbst wenn sie angenommen worden wäre (und das wäre sie, verdammt noch mal – sie hat nämlich schon im linken Ohrläppchen mehr Talent als Fred in seinem gesamten Zentralnervensystem), hätte sie die Studiengebühren niemals aufbringen können. Also studiert sie Englisch und Geschichte an der DePaul University, das kostet sie zwei Jahre und lebenslanges Schuldenabstottern, falls sie nach dem Abschluss einen Job kriegt. Rachel hat sie natürlich überhaupt nicht dazu ermutigt. Beinahe hätte Kirby Rechnungswesen oder Wirtschaftswissenschaften studiert, nur um sie zu ärgern.
«Tokyoooooo!», brüllt Kirby ins Gestrüpp. Sie pfeift nach ihm.
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