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Shining

Shining

Titel: Shining Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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träumen – aber sie wusste, dass sie wach war, und das vergrößerte ihr Entsetzen. Halb fürchtete sie, Jack im Büro verwirrt und betrunken vorzufinden, während Danny sich am Boden wand.
    Sie stieß die Tür auf, und Jack stand da und rieb sich mit den Fingern die Schläfen. Sein Gesicht war kalkweiß. Das kombinierte Radio und CB- Funkgerät lag zerschmettert auf dem mit Glassplittern übersäten Boden.
    »Wendy?« fragte er unsicher. »Wendy –«
    Seine Verwirrung schien immer größer zu werden, und in diesem Augenblick sah sie sein wahres Gesicht, das er sonst so meisterhaft verbergen konnte, ein Gesicht, das verzweifelte Not verriet, das Gesicht eines Tieres, das sich in einer Schlinge gefangen hatte, die es nicht begriff und aus der es sich nicht befreien konnte. Dann fingen seine Muskeln an zu arbeiten und zuckten unter der Haut. Die Lippen zitterten kraftlos, und sein Adamsapfel bewegte sich auf und ab.
    Ihre anfängliche überraschte Verwirrung wich tiefer Erschütterung: Er weinte. Sie hatte ihn schon weinen sehen, aber noch nie, seit er nicht mehr trank … und auch damals nur, wenn er sehr betrunken war und ein erbärmlich schlechtes Gewissen hatte. Er konnte seine Gefühle sonst gut verbergen, und als sie jetzt sah, dass er seine Selbstkontrolle verlor, kam die alte Angst zurück.
    Er ging auf sie zu, und Tränen standen ihm in den Augen. Er schüttelte den Kopf, als wollte er diesen Gefühlsansturm abwehren. Zitternd atmete er tief ein und schluchzte dann qualvoll auf. Mit seinen Hush-Puppies stolperte er über die Trümmer des Radiogerätes und fiel ihr fast in die Arme, so dass sein Gewicht sie taumeln ließ. Sein Atem traf ihr Gesicht, aber sie roch keinen Alkohol. Natürlich nicht; hier oben gab es keinen.
    »Was ist passiert?« Sie hielt ihn fest, so gut sie konnte. »Was ist los, Jack?«
    Aber vorläufig konnte er nur schluchzen und sich an sie klammern, dass es ihr fast den Atem nahm. In einer hilflosen Abwehrgeste wandte sie das Gesicht ab. Er schluchzte jetzt so wild, dass er am ganzen Körper zitterte und sich unter seinem karierten Wollhemd alle Muskeln anspannten.
    »Jack? Was? Sag mir doch, was du hast!«
    Endlich wurden seine Schluchzer zu unzusammenhängenden Worten, die erst zu verstehen waren, als er keine Tränen mehr hatte.
    »… ein Traum, ich glaube, es war ein Traum, aber er war so wirklich, dass ich … es war meine Mutter. Sie sagte, dass Daddy im Radio sprechen würde, und ich … er sagte … er sagte mir, ich sollte … ich weiß nicht, aber er schrie … und da habe ich das Radio kaputtgemacht … damit er das Maul hält. Er sollte nur das Maul halten. Er ist tot. Ich will nicht einmal von ihm träumen. Er ist tot. Mein Gott, Wendy, mein Gott. Einen solchen Alptraum habe ich noch nie gehabt. Das möchte ich nie wieder erleben. Mein Gott! Es war entsetzlich.«
    »Bist du denn im Büro eingeschlafen?«
    »Nein … nicht hier. Unten im Keller.« Er richtete sich ein wenig auf und befreite sie von seinem Gewicht.
    »Ich habe alte Papiere durchgesehen. Milchrechnungen. Furchtbar langweilig. Ich muss wohl eingenickt sein. Und dann fing ich an zu träumen. Ich muss im Schlaf nach oben gegangen sein.«
    Ihm misslang ein Lachen. »Wieder ist etwas zum ersten Mal geschehen.«
    »Wo ist Danny, Jack?«
    »Das weiß ich nicht. Ist er nicht bei dir?«
    »War er nicht … bei dir im Keller?«
    Er sah ihren Blick, und sein Gesicht verhärtete sich. »Das darf ich wohl nie vergessen, nicht wahr, Wendy?«
    »Jack –«
    »Noch an meinem Totenbett wirst du dich über mich beugen und sagen: ›Das geschieht dir recht. Weißt du noch, wie du Danny den Arm gebrochen hast?‹«
    »Jack!«
    »Jack was?« fragte er wütend und richtete sich hoch auf.
    »Willst du etwa abstreiten, dass du das denkst? Dass ich ihm wehgetan habe? Dass ich ihm einmal wehgetan habe und es jederzeit wieder tun könnte?«
    »Ich will nur wissen, wo er ist. Das ist alles!«
    »Dann geh doch los und schrei dir deine blöde Zunge aus dem Hals.
    Dann wird sich das ja klären.«
    Sie wandte sich ab und ging zur Tür.
    Er sah sie gehen und verharrte einen Augenblick wie angewachsen, ein mit Glasscherben übersätes Stück Löschpapier in der Hand. Dann ließ er es in den Papierkorb fallen und ging hinterher. Er holte sie in der Rezeption ein, legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich herum. Ihr Gesichtsausdruck wirkte bemüht gleichgültig.
    »Wendy, es tut mir leid. Es war der Traum. Ich habe mich so

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