Shiva Moon
zueiner Party eingeladen. Sie wohnt nur wenige Straßen entfernt, und ihr Haus gehört zu den ganz fetten in der Kolonie. «Was macht sie?», frage ich Scarlet, während wir an der Tür läuten. «Sie hat eine Textilfabrik, Schätzchen.»
Partys der indischen Oberklasse sind häufig ein wenig steif. Das ist hier nicht anders. Fünf Frauen und vier Männer machen Smalltalk in teuren Sitzmöbeln oder stehen in dem wie erwartet geschmackvollen Ambiente, um schweigend am Glas zu nippen. Auffällig ist, dass alle anwesenden Inderinnen körperbetonendes Schwarz tragen, plus schwarze High Heels oder schwarze Stiefel. Ich schließe daraus, dass die indischen Frauenmagazine trotz aller entgegengesetzten Beteuerungen immer noch ein wenig dem internationalen Trend hinterherhinken, denn die Modefarbe dieses Winters ist Grün in Mailand und Paris. An Ausländern sind außer uns ein Franzose da und ein blondes Gift Ende zwanzig. Scarlet hasst es sofort. Die Blondine sieht ein bisschen so aus wie die junge Marlene Dietrich, trägt ein Hängekleidchen in der richtigen Farbe zu hochhackigen grünen Sandalen und gibt sich als Engländerin zu erkennen, die gerade aus Shanghai eingetroffen ist. Und eines sehe ich umgehend: Das Herzchen rührt sich einen sehr professionellen Gin Tonic zurecht. Ich bitte sie, dasselbe auch für mich zu tun, und so kommen wir ins Gespräch.
Ich will wissen, was sie beruflich macht, werde aber aus ihren Antworten nicht ganz schlau. Möglich, dass es nicht nur an meiner leider immer noch vorhandenen Schwerhörigkeit liegt, sie hält sich auch ein bisschen bedeckt. Ich dagegen bin ganz offen. «Ich bin Schriftsteller», sage ich.
«Great», sagt sie. «Und Sie wollen ein Buch über Indien schreiben?»
«Nee, zurzeit sieht’s eher so aus, als würde es ein Buch über einen Mann, der nicht loslassen kann.»
«Interessant», sagt sie.
«Und das Verrückte dabei ist, dass er nicht loslassen kann, was er vorher unbedingt loswerden wollte.»
«Sehr interessant», sagt sie.
Ja, finde ich auch. Die Idee ist brandneu. So hatte ich das bis zu diesem fabelhaften Gin Tonic noch nie gesehen. Nicht Indien ist das Problem. Mit dem Rücken an der Wand der Erkenntnis stehend, erkläre ich der Blondine meine letzten zwei Jahre. Weil ich Schulden hatte, die ich endlich mal tilgen wollte, hatte ich gearbeitet wie ein Geisteskranker, geschrieben wie ein Eichhörnchen, gelebt wie ein Asket. Tag und Nacht und mehr oder weniger ohne Pause, ohne Urlaub, nicht mal die Wochenenden habe ich blau gemacht. Und die ganze Zeit über hing da die Mohrrübe mit dem Namen Indien vor meiner Nase. Indien sollte die Belohnung sein. Ein paar Monate lang keinen Job, keine Termine, keine Stresssymptome, keine Geldprobleme. Nicht mal mehr denken wollte ich an Geld, sobald meine Füße indischen Boden berühren würden. Und was mache ich jetzt? Ich pflüge wie ein Panzer durch die Gegend und denke nur an Kohle, nur an Jobs und sitze in Internetshops, um irgendwelche Kolumnen, Rezensionen und anderen Kleinscheiß zu schreiben. Zwei Jahre lang habe ich davon geträumt, diesen Mist loszulassen. Und jetzt, wo ich es könnte, kann ich es einfach nicht.
Was mir denn stattdessen vorschwebe, will die Engländerin wissen.
«Na, atmen zum Beispiel.»
«Bist du spirituell?», fragt sie.
«Ja.»
«Ich nicht», sagt das blonde Gift. «Ich bin absolut nicht spirituell.»
Ist es der Alkohol? Oder ich? Ein kleiner Schock geht durch mich hindurch. Ein Schauer des Entsetzens. Nicht weil ich hier auf eine bekennende Unspirituelle getroffen bin, sondern weil ich gerade das Gefühl habe, dass mein «Ja» viel zu schnell gekommen ist. Viel zu selbstverständlich, zu automatisch, zu gewohnheitsmäßig, zu unüberlegt. Schon während ich «Ja» sagte, kam es mir platt vor, kraftlos und langweilig. Und das schockt mich. Denn wie war es bisher? Ich konnte immer guten Gewissens sagen, dass ich nicht religiös bin, weil Religionen organisierte Spiritualität sind, und das hatte für mich nie Sinn. Das Organisieren und Sektieren. Die Spiritualität schon. Aber wenn ich jetzt auch noch daran zweifele, dass es einen unpersönlichen Gott gibt, eine Art positive und alles regelnde Energie, einen übergeordneten Sinn, was ist dann? Dann stimmt die Chaostheorie. Und wo bin ich in dem Chaos? Und welche Chance habe ich, ihm zu entfliehen?
Keine.
Bis auf eine. Spirituosen statt Spirit!
Ich bitte das blonde Gift, mir einen zweiten Gin Tonic zu mixen, und inzwischen ist
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