Shiver - Meine Rache Wird Euch Treffen
Tür.
»Was ist denn jetzt wieder?«, schimpfte Abby, denn der Hund war den ganzen Nachmittag über nervös gewesen, wollte mal rein, dann wieder raus und bellte Eichhörnchen an, die im Magnolienbaum auf der hinteren Veranda zeterten.
Hersheys knurrte abermals und starrte reglos auf die Tür.
»Lass das, Hershey«, sagte Abby, ohne den Blick vom Computermonitor und der Shipman-Hochzeit zu wenden. Sie löschte die Fotos, auf denen die Braut mürrisch dreinblickte oder die Haartolle des Bräutigams zu sehr hervorstach.
Die Nackenhaare der Hündin standen jetzt steil in die Höhe. Dieses Mal war ihr Knurren beinahe unhörbar, doch es reichte, um Abby in ihrer Konzentration zu stören. Schließlich gab sie nach. »Okay«, sagte sie, nicht willens, sich von der Nervosität der Labradorhündin anstecken zu lassen.
»Zeig mir, was dich stört.« Sie beschloss, Feierabend zu machen, fuhr den Computer herunter, schaltete das Licht aus und öffnete die Tür des Ateliers.
Die Hündin schoss hinaus wie eine Rakete, rannte bellend am Rande der Veranda auf und ab und spähte zwischen die dahinter liegenden dunklen Bäume.
Ein kalter Schauer der Angst lief Abby über den Rücken. Seit sie von dem Mord an Luke erfahren hatte, war sie oft unruhig und reizbar. Und falls sie geglaubt hatte, der Besuch im Krankenhaus Our Lady of Virtues würde ihr helfen, die Vergangenheit zu bewältigen, dann war dies ein fataler Irrtum gewesen. Seit sie durch die vergessenen Flure geschritten war, hatte sie nur noch schlecht geschlafen. Drei Bilder hatten sie nach dem Besuch nicht mehr losgelassen – die verschlossene Tür zum Zimmer ihrer Mutter, die Türen im ersten Stock, die plötzlich alle zu gewesen waren, und die schattenhafte Männergestalt hinter dem Fenster im zweiten Stock. Noch jetzt überzogen sich schon bei dem Gedanken daran ihre Arme mit einer Gänsehaut.
Sie verriegelte ihr Atelier, überquerte die Veranda und schloss die Tür zum Haus auf. Hershey knurrte immer noch mit gesträubtem Fell, den Blick auf den Wald gerichtet, da huschte Ansel plötzlich über die Veranda und verschwand wie der Blitz im Haus. Die große Labradorhündin nahm schwanzwedelnd die Verfolgung der Katze auf.
»Na toll«, schimpfte Abby. Sie wusste nicht, welches von ihren Haustieren sie als Erstes erwürgen sollte. »Du hast mich in Todesängste versetzt, Hershey.« Wütend verriegelte sie die Tür. »Du sollst zwar ein Wachhund sein, aber du musst mich nicht vor
Ansel
beschützen. Meine Güte!« Sie schlüpfte aus ihren Schuhen. Der Kater war auf den Küchentresen gesprungen und hockte jetzt mit aufgeregt zuckendem Schwanz und geweiteten Pupillen vorm Fenster. Er sträubte das Fell und fauchte den Hund an. »Du hörst jetzt auch auf! Lasst mich in Ruhe … alle beide. Ich kannmir auch allein Angst einjagen. Dazu brauche ich eure Hilfe nicht!« Abby hob den Kater vom Tresen und setzte ihn auf den Boden. Sie öffnete das Gefrierfach und fand lediglich eine Vorratspackung Kaffee und eine uralte Pizza.
»
Bon appétit
«, sagte sie, packte die Pizza aus und heizte den Backofen vor. Die Peperoni sahen aus, als wären sie im sechsten Jahrhundert geerntet worden, auf dem Käse schimmerten Eiskristalle, der Rand ließ Gefrierbrand vermuten. Doch es war alles, was sie da hatte, und es bot ihr einen Anlass, kreativ zu werden und Tomaten und Zwiebeln in Scheiben zu schneiden. In der Vorratskammer förderte sie eine kleine Dose mit schwarzen Oliven zutage. Und während sich der Backofen aufheizte, kramte sie im Schrank, bis sie eine Flasche Rotwein fand. Ein goldenes Bändchen war ihr um den Hals gelegt, an dem eine winzige Karte mit der Aufschrift
Danke für die Gastfreundschaft! In Liebe, Alicia
hing.
Abby dachte lächelnd an Alicias letzten Besuch. Sie hatten eine Flasche Weißwein entkorkt, draußen auf der Veranda gesessen, den Abendgeräuschen gelauscht und von ihrem gegrillten Fisch gegessen. Luke hatte angerufen und gesagt, dass er über Nacht in der Stadt bleiben müsse. »Zu viel Arbeit«, behauptete er, »muss mich auf ein neues Format vorbereiten. Bis morgen. Hab dich lieb, Baby.«
Nachdem Abby aufgelegt hatte, sagte Alicia: »Er ist so ein Loser, Abby! Lass dich von dem Kerl scheiden und zieh endlich einen Schlussstrich.« Sie schenkte ihnen ein zweites Glas Wein ein. »Aber lass nicht zu, dass er uns diesen Abend verdirbt. Das ist dieser Scheißkerl nicht wert.«
Oh, wie Recht sie gehabt hatte, dachte Abby jetzt. Diese Flasche Rotwein stand
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