Shoal 01 - Lichtkrieg
zu befreien, aber Dakota und Severn jagten ihnen gnadenlos hinterher, pausenlos Salven abfeuernd, während sie über die verkohlten Leichen sprangen, die bereits verstreut auf der frostharten Straße lagen.
Die meisten Flüchtlinge trugen keine Schutzkleidung, nicht einmal Atemmasken, deshalb kamen sie nur ein paar Dutzend Meter weit, ehe die grimmige Kälte sie übermannte. Andere versuchten, sich im Straßengraben zu verstecken, aber Dakota und Severn spürten sie mühelos auf. Der klirrende Frost hätte sie früher oder später ohnehin umgebracht, aber Dakota wollte mit aller Gründlichkeit vorgehen.
Nachdem die Schreie der Sterbenden verstummt waren, waren nur mehr das Knattern und Prasseln der Flammen zu hören, die an dem freiliegenden Gerüst des Bodentransporters entlangzüngelten, und das hohe Jaulen des Windes, der von den Bergen herunterfegte.
Der Engel war fort, ohne eine Spur zu hinterlassen, als hätte es ihn nie gegeben.
Severn zitterte so heftig, dass Dakota zuerst glaubte, auch sein Isolationsanzug müsse beschädigt sein. Aber das war nicht der Grund für den üblen Zustand, in dem er sich befand.
»Dak … Dakota. Hör mir zu, Dakota.«
Er war auf die Knie gesunken und starrte auf das Bild der Verwüstung, das sie umgab. Dakota hatte nicht die geringste Ahnung, was sie als Nächstes tun sollte.
Die Luft rings um sie herum war verpestet von dem ätzenden, fetten Qualm, der von dem brennenden Fahrzeug ausging.
Dakota kniete sich vor Severn hin und legte eine Hand auf seine Schulter.
»Was ist los? Was willst du mir sagen?«
»Der Engel, Dakota. Wo ist er hingegangen?«
»Ich weiß es nicht, Chris. Geht es dir nicht gut? Was hast du?«
»Ich fühle mich entsetzlich, Dakota.« Sein Zittern verstärkte sich. Er presste die Pistole an seine Brust und hielt sie mit beiden Händen fest, als wiege er ein Baby. »Irgendetwas stimmt nicht, Dakota. Irgendetwas stimmt hier ganz entschieden nicht.«
Zuerst wollte Dakota ihm widersprechen, doch sie fand, er hätte recht. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Ein ungutes Gefühl, das sich während der letzten Minuten in ihr aufgebaut hatte, nahm konkrete Gestalt an. Aber sie war noch nicht so weit, um es einordnen, gewichten, deuten zu können.
Die Stimmen aus der Zirkusmanege kehrten zurück, entweder um sie zu quälen oder in beschwörendem Ton auf sie einzureden. Es fiel ihr zunehmend schwerer, sie zu verdrängen.
»Alles wird gut werden, Chris. Alles wird gut werden.«
»O nein, Dak … nichts wird gut werden.« Er blickte in die Runde und machte ein Gesicht, als sähe er diese grausige Szene zum ersten Mal. »Was ist hier gerade passiert?«
»Wir haben einen Befehl befolgt …«
Aber welchen Sinn und Zweck hatte dieses Kommando? Wofür hatten sie gekämpft? Für eine Heilige Sache? War es Gottes Wille gewesen, dieses Blutbad anzurichten?
Nein, das konnte nicht sein. Aber wozu hatte man sie dann hierhergeschickt?
Dakota kniff die Augen zu. Am Rande ihres Bewusstseins blitzten Alarmsignale auf und forderten ihre volle Aufmerksamkeit. Sie versuchte, die Signale auszulöschen, aber sie blieben hartnäckig und wollten sich partout nicht ausblenden lassen - dieses Mal nicht.
Dann vergegenwärtigte sie sich, dass die Präsenz, die sie während der Bruchlandung voll und ganz ausgefüllt hatte, nicht mehr da war; verschwunden war auch das erhebende Gefühl, im Dienste einer ehrenvollen, heiligen Sache zu stehen, eine Emotion, die jede einzelne ihrer Handlungen bestimmt hatte. Es kam ihr so vor, als wäre sie aus einem grauenhaften Albtraum erwacht, wie man ihn sich schlimmer nicht vorstellen konnte.
Sie wandte sich an Chris und klappte den Mund auf, um ihm etwas zu sagen, doch ehe sie auch nur einen Laut äußern konnte, steckte er sich die Pistole in den Mund und drückte auf den Abzug. Dakota stieß einen schrillen Schrei aus, als sein Körper durch die Wucht des Schusses ein Stück weit weggeschleudert wurde.
Sie wollte sich von den Knien hochrappeln, doch sie taumelte und fiel zu Boden; ihre Finger krallten sich in den harten Straßenbelag, und in der Atemmaske nahm ihr gequältes Röcheln einen hohlen Klang an.
Nach einer Weile gewann sie die Kontrolle über sich zurück. Sie war Dakota Merrick und ein Maschinenkopf. Als Pilotin stand sie im Dienst des Konsortiums.
Ringsum, wohin sie auch blickte, war der Boden mit Leichen übersät. Viele davon waren Kinder.
Sie kroch hinüber zu Severn. Er hatte noch immer einen schwachen, flatternden
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