Shoal 01 - Lichtkrieg
Schlucht. Die Felswände, die rings um sie in die Höhe ragten, waren furchteinflößender, als sie erwartet hatte. Wenn sie den Kopf in den Nacken legte und nach oben spähte, erschien das All als schmaler, mit glitzernden Sternen gesprenkelter Streifen; sie kam sich vor, als stünde sie im Rachen eines gigantischen Monsters mit Zähnen wie Gebirgsketten, das versucht hatte, das Universum zu verschlingen, und mitten in dem Akt erstarrt war.
Sie spürte, wie die Wracks ihren Geist streichelten, noch ehe sie das nächstgelegene entdecken konnte; es befand sich keinen halben Kilometer von ihrem Landeplatz entfernt. Es war leichter, sich eine Vorstellung von der Größe des Schiffs zu machen, wenn es nicht von einem dunklen, tiefen Ozean umschlossen wurde.
Erschrocken bemerkte sie, dass das Schiffsich mit Energie auflud, in Vorfreude auf ihre Ankunft. Offenbar rüstete es sich für einen transluminalen Flug. Trotz seines albtraumhaften Aussehens fühlte sie sich auf eine seltsame Weise zu dem Sternenschiff hingezogen, das wie das ausgebleichte Skelett einer Erscheinung wirkte, die ihr Unterbewusstsein in einem besonders abgelegenen Winkel ihres Geistes ausgebrütet hatte.
Sie dachte an Corso; ehe die Luke der Rettungskapsel sich über ihr geschlossen hatte, hatten sie sich ein letztes Mal geküsst. Es war eine harmlose Intimität gewesen, doch angesichts ihres Vorhabens, das sehr wohl scheitern konnte, hatte diese keusche Zärtlichkeit für sie eine schier überwältigende Bedeutung angenommen.
Auf ihren Lippen lag noch der Geschmack von Corsos Mund, doch nun, da sie tatsächlich auf Ikaria gelandet war, beschlich sie das erdrückende Gefühl, ihr Schiff mitsamt Corso befände sich in unerreichbarer Ferne.
An Bord der Piri Reis starrte Corso entsetzt auf die Bildschirme. Einer zeigte einen zweiten Neutrinoausstoß, der tief aus dem Herzen von Nova Arctis kam, während auf dem anderen etwas zu sehen war, bei dem es sich nur um Raketen der Agartha handeln konnte. Sie näherten sich rasch, doch noch hatten sie eine beträchtliche Strecke zu überbrücken.
»Piri!«, kreischte er in heller Panik. »Wir müssen sofort ein Ausweichmanöver einleiten!«
»Nicht möglich«, antwortete die Piri Reis. »Weitere Kursänderungen würden zu viel Energie verbrauchen, und wir könnten uns nicht länger im Orbit halten. Erbitte Alternativvorschläge.«
»Mir fällt nichts ein!«, schrie Corso und raufte sich buchstäblich die Haare. »Um Gottes willen, können wir denn gar nichts tun? Wenn uns nur eine einzige dieser Raketen trifft, bleibt von uns nichts mehr übrig.«
Vier oder fünf Sekunden lang herrschte eine quälende Stille. »Sämtliche möglichen Aktionen haben unsere totale Vernichtung zur Folge. Ich schlage vor, dass wir unsere derzeitige Position beibehalten. Es kann sein, dass die Energie der Raketen nicht ausreicht, um uns zu treffen. Außerdem stellen wir ein sehr kleines Ziel dar.«
»Kannst du die Steuerung der Raketen denn nicht umprogrammieren?«, heulte Corso. »Es sind doch nur Waffen, verdammt noch mal! Sag ihnen, sie sollen woanders einschlagen!«
Abermals trat eine beklemmende Stille ein.
»Versuch wird gestartet«, erklärte die Piri.
Die erste Rakete verfehlte die Piri Reis um nur fünfzehn Meter. Die Bordsysteme zeigten ihre Flugbahn, als sie in einer Spirale auf Ikarias Oberfläche zu trudelte.
Die zweite, die rund eine Minute später eintraf, ließ sich jedoch nicht ablenken. Halb betäubt vor Angst beobachtete Corso, wie sie immer näher heranrückte, exakt auf die Piri Reis gerichtet. Der Lichtpunkt auf dem Schirm schwankte ein wenig, als die Piri versuchte, mittels Fernlenkung die Programmierung der Rakete zu manipulieren.
Corso begriff, dass das Schiff nichts mehr ausrichten konnte. Dazu fehlte der Piri Reis einfach die Zeit. Seine Gedanken überschlugen sich. Plötzlich, unter dem Druck der Ereignisse, fiel ihm wieder ein, wie er sich im Schnellverfahren mit den Systemen der Piri beschäftigt hatte, um ihre Funktionsweise ein wenig besser zu verstehen. Dabei hatte er entdeckt, dass im Heck manuelle Systeme installiert waren.
Er brauchte nur ein paar Sekunden, um sie wiederzufinden.
Zum Glück erkannte er auf Anhieb, was er brauchte. Vielleicht gab es doch noch eine Chance, diesen Raketenangriff zu überleben, doch dazu musste er manuell Energie abstoßen. Es glich einem selbstmörderischen Akt, doch eine andere Option hatte er nicht.
Mit bebenden Fingern tippte er auf ein manuelles
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