Shogun
auf Ishido zu, bereit, mit zwei Händen den tödlichen Streich zu führen.
Ishido machte keinerlei Versuch, sich zu verteidigen. Genau dies hatte er geplant, sich erhofft, und seine Leute waren angewiesen, erst dann einzugreifen, wenn er tot war. Falls er, Ishido, hier getötet wurde, von einem Toranaga-Samurai, konnte die gesamte Garnison von Osaka mit vollem Recht über Toranaga herfallen und ihn erschlagen. Dann wären die noch verbleibenden Regenten gezwungen, gemeinsam gegen den Klan der Yoshi vorzugehen, der, nunmehr isoliert, ausgerottet werden würde. Nur dann würde der Erbe auch wirklich sein Erbe antreten können, und er, Ishido, hätte dem Taikō gegenüber seine Pflicht getan.
Aber der Todesstreich kam nicht. Im allerletzten Augenblick kam Usagi zur Vernunft und steckte bebend das Schwert ein.
»Verzeihung, Herr Toranaga«, sagte er und fiel unterwürfig auf die Knie. »Ich konnte die Schande nicht ertragen – daß Ihr solche – solche Beleidigungen anhören mußtet. Ich bitte um die Erlaubnis – ich bitte um Verzeihung und um die Erlaubnis – augenblicklich Seppuku begehen zu dürfen.«
Wiewohl Toranaga sich nicht gerührt hatte, war er doch bereit gewesen, den Schlag abzufangen, und er wußte, daß auch Hiro-matsu dazu bereit gewesen war. Er begriff auch, warum Ishido dermaßen beleidigend und erhitzt gewesen war. Das werde ich dir tausendfach zurückzahlen, Ishido, schwor er sich insgeheim.
Toranaga wandte seine Aufmerksamkeit dem vor ihm knienden jungen Mann zu. »Wie konntet Ihr wagen anzunehmen, daß irgend etwas, was Herr Ishido sagte, als Beleidigung für mich gemeint sein könnte? Selbstverständlich wäre er nie so unhöflich gewesen. Wie könnt Ihr es wagen, Unterhaltungen zu lauschen, die Euch nichts angehen? Nein, ich gestatte Euch nicht, Seppuku zu begehen. Das ist eine Ehre. Ihr besitzt weder Ehre noch Selbstzucht. Ihr werdet heute wie ein gemeiner Verbrecher gekreuzigt werden. Eure Schwerter werden zerbrochen und im Dorf der eta verscharrt. Euer Sohn wird im eta -Dorf bestattet werden. Euren Kopf wird man auf eine Lanze stecken und daran wird ein Schild hängen, auf dem steht: ›Dieser Mann wurde durch Versehen als Samurai geboren. Sein Name hat aufgehört zu sein.‹«
Mit schier übermenschlicher Anstrengung beherrschte Usagi seinen Atem, doch der Schweiß tropfte ihm von der Stirn, und die Schande, die das bedeutete, quälte ihn. Er verneigte sich vor Toranaga und nahm sein Schicksal äußerlich ruhig hin.
Hiro-matsu trat vor und riß beide Schwerter aus dem Gürtel seines Schwiegerenkelsohnes.
»Herr Toranaga«, sagte er feierlich, »mit Eurer Erlaubnis werde ich persönlich dafür sorgen, daß Eure Befehle ausgeführt werden.«
Der junge Mann verneigte sich ein letztes Mal und stand dann auf, doch Hiro-matsu stieß ihn wieder zu Boden. »Samurai gehen«, sagte er, »Männer desgleichen. Du aber bist weder das eine noch das andere. Du wirst auf allen vieren zu deiner Hinrichtung kriechen!«
Allen im Saal ging das Herz auf angesichts der Selbstbeherrschung, der der junge Mann sich jetzt unterwarf, und des ungeheuren Muts, der dazu gehörte. Er wird als Samurai wiedergeboren werden, sagten sie sich voller Genugtuung.
13. Kapitel
In dieser Nacht konnte Toranaga nicht schlafen. Das kam selten bei ihm vor, denn für gewöhnlich verstand er es, die dringlichsten Probleme bis auf den nächsten Tag zu verschieben. Er war längst dahintergekommen, daß ein friedlicher Schlaf die Antwort auf die meisten Rätsel brachte, und falls nicht – was bedeutete das schon? War nicht das Leben nichts weiter als ein Tautropfen in einem Tautropfen?
Aber heute nacht gab es zu viele bestürzende Fragen, über die er nachdenken mußte: Was soll ich wegen Ishido unternehmen? – Warum ist Onoshi zum Feind übergegangen? – Wie verhalte ich mich dem Regentschaftsrat gegenüber? – Haben die christlichen Priester wieder die Hand im Spiel? – Wann sollte man sich mit Yabu befassen? – Und was soll ich mit dem Barbaren tun? – Hat er die Wahrheit gesprochen?
Merkwürdig, daß der Barbar ausgerechnet jetzt aus dem östlichen Meer auftauchte! Ob das ein Omen ist? Ob es wohl sein Karma ist, jener Funke zu sein, der das Pulverfaß zur Explosion bringt?
Karma war ein indisches Wort, das die Japaner übernommen hatten und das zu jener buddhistischen Philosophie gehörte, die sich mit dem Schicksal des Menschen befaßte – seinem Schicksal, das unumstößlich feststand wegen der im
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