Shogun
Omi-san der Daimyo ?« fragte Blackthorne, der Angst vor den Schwertern hatte.
»Nein. Er ist Samurai und verantwortlich für dieses Dorf. Sein Familienname ist Kasigi – Omi lautet sein Vorname. Hier nennt man den Familiennamen immer an erster Stelle. ›San‹ bedeutet ›ehrenwert‹ oder ›hochwohlgeboren‹. Man hängt es aus Höflichkeit an jeden Namen an. Ihr tätet gut daran, Euch größter Höflichkeit zu befleißigen – und bald zu zeigen, daß Ihr Manieren besitzt.« Seine Stimme wurde schneidend. »Und jetzt beeilt Euch zu antworten!«
»Aus Amsterdam. Ich bin Engländer.«
Pater Sebastio vermochte seine Betroffenheit nicht zu verbergen. Er sagte: »Engländer. Aus England« zum Samurai und hob zu einer umständlichen Erklärung an, doch Omi unterbrach ihn und stieß eine Flut von Wörtern hervor. »Omi-san fragt, ob Ihr der Anführer seid. Der Schulze sagt, es leben nur wenige von Euch Ketzern, und die meisten seien auch noch krank. Gibt es einen Generalkapitän?«
»Der Anführer bin ich«, erwiderte Blackthorne, obgleich jetzt, da sie an Land waren, in Wahrheit dem Generalkapitän der Oberbefehl zustand. »Ich führe das Kommando«, fügte er hinzu, denn er wußte, daß Generalkapitän Spillbergen weder an Bord noch an Land etwas zu sagen hatte, selbst dann nicht, wenn er nicht krank war.
Abermals kam ein Wortschwall vom Samurai. »Omi-san sagt, da Ihr der Anführer seid, erlaube er Euch, Euch bis zur Ankunft seines Herrn frei im Dorf zu bewegen. Sein Herr, der Daimyo , wird über Euer Schicksal entscheiden. Bis dahin gestatte er Euch, als Gast im Haus des Dorfschulzen zu wohnen und zu kommen und zu gehen, wie es Euch beliebt. Nur das Dorf dürft Ihr nicht verlassen. Eure Mannschaft ist auf ihr Haus beschränkt und darf es nicht verlassen. Habt Ihr verstanden?«
»Ja. Wo ist meine Mannschaft?«
Pater Sebastio wies unbestimmt auf ein Gewirr von Häusern in der Nähe des Landeplatzes – Omis Entschiedenheit und Ungeduld hatten ihn offenbar tief getroffen. »Also! Genießt Eure Freiheit, Pirat! Eure Missetaten werden schon ihren Lohn finden …«
»Wakarimasu ka ?« wandte Omi sich direkt an Blackthorne.
»Er sagt: ›Habt Ihr verstanden?‹«
»Was heißt ›ja‹ auf japanisch?«
Pater Sebastio sagte zum Samurai: »Wakarimasu.«
Mit verächtlicher Gebärde entließ Omi sie. Alle verneigten sich sehr tief. Bis auf einen Mann, der sich offensichtlich mit Bedacht noch höher reckte und sich nicht verneigte.
Wie ein Blitz beschrieb das Langschwert einen silbernen Bogen. Der Kopf des Mannes flog von seinen Schultern, und eine Blutfontäne spritzte auf den Boden. Ein paarmal zuckte der Leichnam noch, dann lag er regungslos da. Unwillkürlich war der Priester einen Schritt zurückgewichen. Niemand sonst auf der Straße hatte auch nur mit einem Muskel gezuckt. Die Köpfe blieben tief gesenkt und regungslos. Blackthorne war vor Entsetzen wie erstarrt.
Achtlos setzte Omi seinen Fuß auf den Leichnam.
»Ikinasai!« sagte er und scheuchte sie fort.
Die Männer vor ihm verneigten sich noch einmal bis auf den Erdboden. Dann erhoben sie sich und gingen ohne eine Regung davon. Die Straße leerte sich. Pater Sebastio sah auf den Toten hinab. Ernst schlug er das Zeichen des Kreuzes über ihm und sagte: »In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti!« Ohne Furcht starrte er den Samurai jetzt an.
»Ikinasai!« Die Spitze des blanken Schwerts ruhte auf dem Leichnam.
Nach einem langen Augenblick wandte der Priester sich ab und ging davon. Aus schmalen Augen sah der Samurai ihm nach. Dann wandte er den Blick Blackthorne zu. Blackthorne entfernte sich, Schritt um Schritt rückwärtsschreitend; dann, nachdem er sich in sicherer Entfernung wähnte, bog er rasch um eine Ecke und entschwand.
Omi brach in ein dröhnendes Gelächter aus. Die Straße war jetzt wie leergefegt. Als sein Lachen sich erschöpft hatte, packte er sein Schwert mit beiden Händen und hackte die Leiche methodisch in kleine Stücke.
Blackthorne saß in einem kleinen Boot, und der Ruderer wriggte ihn fröhlich zur Erasmus hinüber. Er hatte keinerlei Schwierigkeiten gehabt, das Boot zu bekommen, und auf dem Hauptdeck sah er Männer – ausnahmslos Samurai. Manche von ihnen trugen stählerne Brustharnische, die meisten jedoch einfache Kimonos, wie ihre Gewänder genannt wurden, und die beiden Schwerter. Frisiert waren sie alle gleich: der Scheitel rasiert, und das Haar an den Seiten und hinten zu einem Strang zusammengenommen,
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