Shogun
der unendlich sich dehnenden Sekunde, ehe Toranaga die Vorhänge wieder vorgezogen hatte, wußte Blackthorne, daß Yabu ihn erkannt haben mußte, Mariko bestimmt auch, Buntaro wahrscheinlich und möglicherweise sogar einige von den anderen Samurai. Er machte einen Satz vorwärts, ergriff die Pergamentrolle, steckte sie durch den Schlitz zwischen den Vorhängen, drehte sich dann um und brabbelte einfach drauflos: »In meiner Heimat bringt es Unglück, wenn ein Prinz eine Botschaft persönlich überreicht wie ein ganz gewöhnlicher Mensch … es bringt Unglück.«
All das war so unerwartet und so blitzschnell geschehen, daß Ishido sein Schwert erst aus der Scheide hatte, als Blackthorne sich vor ihm verneigte und zappelte wie ein Flaschenteufelchen. Da erst funktionierten seine Reflexe wieder, und das Schwert sauste durch die Luft, um seine Kehle zu treffen.
Blackthornes verzweifelte Augen fanden Mariko: »Um Christi willen, helft – bringt Unglück … bringt Unglück!«
Sie schrie auf. Die Klinge verhielt um Haaresbreite vor seinem Hals. Mariko stieß einen Schwall von Erklärungen hervor, was Blackthorne gesagt, Ishido senkte das Schwert, hörte einen Augenblick zu, fiel ihr wütend ins Wort, schrie immer aufgebrachter und schlug Blackthorne dann mit dem Handrücken hart ins Gesicht. Blackthorne wütete wie ein Berserker. Er ballte seine Fäuste und stürzte sich auf Ishido.
Wäre Yabu nicht geistesgegenwärtig genug gewesen, Ishidos Schwertarm festzuhalten – Blackthornes Kopf wäre in den Staub gerollt. Den Bruchteil einer Sekunde später packte Buntaro Blackthorne, der die Hände bereits um Ishidos Hals hatte. Es bedurfte mehrerer Brauner, ihn von Ishido wegzureißen, dann versetzte Buntaro ihm einen harten Schlag in den Nacken, und das benebelte ihm die Sinne. Graue sprangen ihrem Herrn zu Hilfe, doch Braune umringten Blackthorne und die Sänfte, und einen Augenblick standen sich alle nur kampfbereit und drohend gegenüber. Mariko und die Zofen hoben ein jämmerliches Geschrei an und brachen in Tränen aus, was dazu beitrug, weiteres Durcheinander zu schaffen.
Yabu redete beschwichtigend auf Ishido ein, Mariko wiederholte unter Tränen immer wieder in übertriebener Hysterie, der verrückte Barbar versuche nur, Ishido, den großen Heerführer – den er für einen Prinzen hielt –, vor einem bösen Kami zu bewahren. »Und sie ins Gesicht zu schlagen, ist bei ihnen die schlimmste Beleidigung – genauso wie bei uns, und da ist er momentan einfach außer sich. Er ist zwar ein unwissender Barbar, aber er ist in seiner Heimat auch ein Daimyo und hat nur versucht, Euch zu helfen, Herr!«
Blackthorne erkannte, daß die Aufmerksamkeit aller auf ihn gerichtet war, wußte jetzt aber auch, daß er Verbündete hatte.
Ishido fuhr wieder zu ihm herum, kam näher und schrie ihn an. Er spürte förmlich, wie die Braunen ihre Schwerter fester packten, und wußte, daß der Schlag unausweichlich war, doch diesmal, statt zu versuchen, sich ihnen zu entwinden, wie sie es erwarteten, tat er so, als breche er zusammen, richtete sich dann jedoch blitzschnell wieder auf, brach aus, stieß ein irrsinniges Gelächter aus und fing an, eine groteske Hornpipe hinzulegen. Pater Domingo hatte ihm erklärt, in Japan glaube jeder, Irrsinn werde durch einen Kami hervorgerufen, weshalb Wahnsinnige wie kleine Kinder und Greise als nicht verantwortlich galten für das, was sie taten, und sich deshalb alles mögliche erlauben könnten. Also wirbelte und sprang er herum und sang gleichzeitig Mariko zu: »Hilfe … Ich brauche Hilfe, um Gottes willen … ich halt' das nicht mehr lange durch … Hilfe …«, zappelte verzweifelt wie ein Wahnsinniger, denn er wußte, das war das einzige, was ihn möglicherweise retten könnte.
»Er ist verrückt … er ist besessen«, kreischte Mariko, sobald sie Blackthornes List durchschaut hatte.
»Ja«, sagte Yabu, der noch dabei war, sich von dem Schock zu erholen, Toranaga zu sehen, sich gleichzeitig aber auch nicht sicher war, ob der Anjin-san nur spielte, oder ob er wirklich den Verstand verloren hatte.
Mariko wußte nicht, wo ihr der Kopf stand. Sie wußte nicht, was tun. Der Anjin-san hatte zwar Herrn Toranaga gerettet – woher aber hatte er gewußt? fragte sie sich immer wieder.
Alles Blut war aus Blackthornes Gesicht gewichen, bis auf die scharlachroten Flecken, die von Ishidos Hand herrührten. Er tanzte und tanzte und wartete verzweifelt auf Hilfe, die nicht kam. Dann, Yabu und
Weitere Kostenlose Bücher